III

[313] Es war ein abscheuliches Verbrechen, das da draußen, eine Stunde Weges vom Orte, in der einsamen Mühle geschah. Der alte Müller, der darauf saß, war vor Jahren verwittibt und hatte eine junge Magd in Dienst genommen, die ihm sehr gefiel; als er nun merkte, sie werde in gutem ihm nicht zu Willen sein, so brauchte er Gewalt. Es hätte ihm übel bekommen können, wäre die Dirne damals in die Gerichte gegangen, aber was getraut sich so ein armes Geschöpf? Sie demütigte sich vor dem Alten, beschwor ihn um Jesu willen, sie nicht in der Schande zu lassen; das war es, was er haben wollte, er machte sie zu seiner Müllerin, die Leute fanden das für ganz ausnehmend brav gehandelt und lobten und rühmten ihn – aber es bekam ihm übler!

Wie sich ein Ding anläßt, so wächst sich's auch aus, was mit Schande, Angst und Heimtücke begann, konnte nicht mit Ehr, Fried und Offenheit enden. Es kam da ein junger[313] Knecht auf die Mühle, und den mochte die Müllerin leiden. Um ihre Jugend war sie betrogen worden, aber das junge Blut behielt sein Recht. Wohl wußten beide, es war nicht recht, was sie da im geheimen spannen, sie wußten es, gleich wie es anhob, die Müllerin wußte es, als sie dem Burschen zulächelte, und der Bursche wußte es, als er verlegen das Lächeln zurückgab, aber das sah sich doch ganz unschuldig an, und man konnte sich ja hüten, aber so blieb es bei jedem Schritte, mit dem sie sich mehr und mehr näherrückten, und zuletzt erschien den beiden selbst das Ärgste unverfänglich. Ihre Liebe war freilich nicht wie die anderer Leute, sie durften nicht stolz aufeinander sein, sie mußten darauf achten, daß man nicht merke, wie gut sie einander seien, und daran war nur der Alte schuld, sie hofften, er werde doch bald versterben. Einmal wallfahrte die Müllerin, ein andermal der Knecht nach einem nahen Gnadenorte und baten die Muttergottes, sie möchte sie erlösen, sie beteten – um den Tod eines Menschen!

Aber die Wallfahrer haben neuzeit wenig Glück, an den wundertätigen Wassern des fernen Lourdes machen sie sich lächerlich und verächtlich, und in den Fluten der heimatlichen Mur finden sie den Tod. Auch den beiden ging es nicht nach Wunsch, der Alte blieb rüstig und gesund, als sollte er ewig leben.

Das war hart für sie; wie lange sollten sie denn noch warten und harren, um es zu gleichem Ende wie andere Liebsleute führen zu können? Immer unleidlicher ward ihnen der Zwang und das Geheimtun, und so fielen sie denn in einer Nacht gemeinschaftlich über den Alten her und ließen nicht ab von ihm, bis er tot war, dann setzten sie die Mühle in Gang – das klapperte plötzlich weithin durch die Stille der Nacht, als wollte es das ruhende Tal aus dem Schlafe schrecken, aber ihnen taugte das Getöse, es ließ sie nicht klarwerden über das Geschehene und nicht an den kommenden Morgen denken. Den Leichnam warfen sie in das kreisende Rad, und in wahnsinnigem Taumel genossen sie ihre Freiheit.[314]

Die Sonne, die sie weckte, war eine andere als die alte; was war das für ein abscheuliches Licht, das in alle Winkel spähte, durch jeden Bretterspalt fiel?! Dort stahl es sich durch die verhangenen Fenster in die leere Kammer, und ein wirbelnder Streif tanzte über die Polster des Bettes, fand aber nicht, wie sonst, einen Schläfer zu wecken. Wie glitzerte das Wasser am Mühlrade, und – oh, wer sich hinzuschauen getraut hätte! – wie es den toten Mann mit jeder Umdrehung hervor an das Licht schleifte! Aber da galt kein Säumen, lebendig wird es schon rings im Tale, die Leute werden kommen, daß sie auch kommen müssen, daß doch die Welt diese Nacht über ausgestorben wäre! Was sagen? Was tun?

Die Mühle wurde gestellt, die Müllerin stürzte mit Jammergeschrei, verwirrt und entsetzt in das Tal nach den nächsten Hütten, um den Leuten zuzuschreien, daß heute nacht ihr Mann verunglückt sei.

Aber die Sonne, die böse Sonne mit ihrem aufdringlichen Lichte ging nicht unter, ohne alles an den Tag gebracht zu haben.

Der Mond fand die Mühle leer, dafür sah er dort, fern in der Kreisstadt, als er die Schatten der Gitterstäbe in die Gefängniszellen warf, ein junges Weib mit verweinten Augen und einen Burschen mit stieren, glanzlosen Blicken schlaflos vor sich hin starren.

Das war eine Aufregung im Orte, als man die beiden festnahm, das wogte ab und zu nach der Unglücksstätte und nach dem Gemeindekotter, wo die Täter und die Landjäger, die sie zu bewachen hatten, auf eine Fahrgelegenheit warteten. Und als schon lange der unbeholfene Leiterwagen über die ausgefahrene Straße hingepoltert war, standen die Leute noch überlaut redend vor ihren Türen. Das Gemeindewirtshaus war überfüllt von erregten Gästen, die sich durch den Trunk noch mehr ins Feuer brachten; was wollte da jeder schon lange gesehen und gehört haben, das ihm bedenklich vorkam?! Da war keiner, der es nicht schon früher gemerkt hätte, wie in der Mühle nicht alles richtig gewesen, und schier[315] alle hätten es vorhersagen mögen, daß das kein gutes Ende nehmen könne. Da war keine üble Nachrede, die nicht ihre zustimmenden Hörer gefunden hätte.

Und es war allwege nicht denkbar, daß an dem Weibsbild und dem Burschen jemals ein gutes Haar gewesen wäre, die mußten von Kind auf verderbt und verworfen gewesen sein, waren gar niemals wie andere Leute gewesen, denn rechtschaffenen Leuten – jeder schmeichelte sich, zu denselben zu zählen – könne so eine gräßliche Tat gar niemals beifallen.

In einem Winkel der Stube trank auch der Steinklopferhanns sein Gläschen und rauchte seine Pfeife, jetzt war sie ihm aber ausgegangen, er klopfte die Asche in derselben an der Tischkante aus und sagte: »Ös seids recht christlich – recht christlich!«

»Werdn wir's doch nit gegen so Mordgesellen sein sollen?«

»Warum nit«, sagte Hanns, »wer sich für christlich ausgibt, soll allzeit dabei bleibn. Und wann i mich recht besinn, so steht doch geschrieben: ›Richtet nicht, daß ihr nicht gericht werdt!‹«

»Es wird auch kein ehrlicher Christmensch einm andern was nachtragn, aber so ein Mordgsindel zählt doch nit dazu!«

»War wohl auch a Zeit«, meinte der Steinklopfer, »wo sie kein Brösel anders waren als eins von uns da!«

»Na, hör auf, Hanns, das is kein Reden, so ein Stück brächt wohl keiner, wie wir da sein, übers Herz, dazu muß man schon ganz gottverlassen auf die Welt kommen, dazu muß eins schon bestimmt sein.«

»Dann is auch dazu bstimmt, wer heut sich ein Rausch trinkt! Ihr betet doch alltag paarmal 's Vaterunser und bei der Rosenkranzandacht schon gar, weiß nit wie oft, aber wohl weil's unserm Herrgottn vermeint is, leiert's ös herunter, daß's kein Teuxel versteht, ös selber aber auch nit; sonst möcht euch doch bei einer Bitt einleuchten, selb wär's gscheiteste Beten, was's jemaln af derer Welt gebn hat. Dö Bitt, was ich mein, heißt: ›Führe uns nicht in Versuchung!‹[316] Es is schon so, daß sich einer recht brav halt, wann ihn kein Verlockung betrifft, und geht mancher als ehrlicher Mann sein Weg, weil ihm die Versuchung nie begegnet. Kommt s' aber einem über die Quer, so gibt's ein hart Stück Arbeit, da soll sich keiner aufwerfen und vermeinen, er wüßt, was da aus ihm wurd; often kommt s' ruckweis und führt 'n Trittl für Trittl, er denkt sich's dabei selber nit aus, wohin. Often kommt s' mit einm Mal, und er tut, was er augenblicks drauf nöt für möglich halt, es wär sein Tun, und hat wohl auch vor kurzer Weil gsagt: ›So a Stuck brächt wohl keiner, wie wir da sein, übers Herz!‹ – 's Menschen-Einwendige muß mer kennen, heißt, mer muß sich sagen, mer kennt's eigentlich net, dann is mer fein ganz bscheiden ruhig und findt a Mitleid auch mit dö, wo man nit meint, sie verdienen's, die's aber z' notwendigst brauchen, soll's mal mit dö bessern Zeiten anhebn, wo man von Kind auf schon der Leidenschäftlichkeit ausbeugen und 's Gscheitsein lernt und statt: sei fromm! – sagt: sei brav!«

»Hörts 'n Steinklopfer! der hat wieder a neu Evangeli in Kopf.«

»Is eh a rechter Heiland, nimmt Ehbrecher und Mörder in Schutz!«

»In Schutz nehm ich s' nit«, sprach Hanns, »daß ich etwa saget, es wär recht, aber ich sag, einstmal warn s' net andere Menschen wie wir, und wann's uns dö gleichen Weg führet wie sie, möcht wohl keiner sagen können, ob er heut nit da stünd wo die zwei!«

»Ah, selb kann man wohl sagn, was man nie wurd imstand sein«, riefen etliche junge Bursche.

»Na«, lachte verschmitzt der Steinklopfer, »mir sieht mer's

wohl auch nit an, noch hätt ich's selber glaubt, aber doch hätt ich bald ein umbracht.«

»Geh zu – was d' sagst!«

»Na wohl, war's a so.«

»Verzähl – verzähl!« Alles rückte zu.

»Na losts zu. Verzähl ich's halt.«[317]


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21977, S. 313-318.
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