Hohe Minne

[29] An die Prinzessin ***


Wie süßes Mondlicht an den blauen Höh'n,

So leuchtet mir dein Antlitz mild und schön

Aus unnahbaren Fernen stumm entgegen;

Ein Himmel blüht, wo deine Augen winken;

O könnten sie doch einmal niedersinken

Zu mir, dem Dumpfheit folgt auf allen Wegen.


Du gäb'st dem Herzen kühne Adlerschwingen,

Wie sollt' es jauchzend von dem Höchsten singen,

Was Menschensehnsucht je nur kann erreichen!

Ha, wie verklärte dann der Zeit zum Neide

Ein ew'ger Glanzschein uns're Stirnen beide,

Nie sollten uns der Jugend Locken bleichen.


Doch solches geben mir die Götter nimmer ...

Und dir auch wird der Anmuth Zauberschimmer

Allmählich grausam Stück für Stück zerfallen.

Am Strand des Hades wird dein Schatten schweben,

Vergessen! Ach, und länger blühend Leben

Verdienst du, o Herrlichste vor Allen!

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 29-30.
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