6.

[315] Nach dem Lied: Ich habe funden, den ich liebe.


1.

Zeuch meinen geist, o Herr von hinnen

Gantz über sich zu dir hinauff:

Ich sehn mich sehr, den gantzen lauff

Nach dir zu thun mit hertz und sinnen.

Regier mich nur nach deinem Willen,

Den führer nachzufolgen schlecht:

Was kan sonst meinen hunger stillen?

Wer ist, der mich vergnüge recht?


2.

Weil aber so viel wiederstrebet,

Dem abgewandten pilgrams-geist,

Der zum verheißnen erbe reyhßt,

Und gern als ein gefreyter lebet:

So nim mir ab die schweren lasten

Der sinnlich-groben irdigkeit;

Den geist laß in der stille rasten

In dir und deiner ledigkeit.


3.

Ist das geschöpff gleich noch so schöne,

Von mir muß alls verlassen seyn,[315]

Mein auge dring in den hinein,

Nach dem ich mich im grunde sehne,

Von andern kan ich nichts behalten,

Dich zieh ich selbst in mich, und du

Zeuchst mich in dich: ich laß dich walten

Du schleußt mir sinn und hertze zu.


4.

Zwar findt mein geist noch manche speisen,

Die geistlich und vergnüglich sind,

Darinn man auch wol nahrung findt;

Doch kan ich nichts vors beste preisen.

Als dich selb-selbst, du brod der seelen.

O selig und vollkommen seyn,

Die dich zum besten theil erwehlen,

Biß sie in dich gesunken ein.

Quelle:
Gottfried Arnold, München 1934, S. 315-316.
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