Graf Walter

[212] Nach dem Altenglischen


Graf Walter rief am Marstallsthor:

»Knapp, schwemm' und kämm' mein Roß!«

Da trat ihn an die schönste Maid,

Die je ein Graf genoß.


»Gott grüße dich, Graf Walter, schön!

Sieh her, sieh meinen Schurz!

Mein goldner Gurt war sonst so lang,

Nun ist er mir zu kurz.


Mein Leib trägt deiner Liebe Frucht.

Sie pocht, sie will nicht ruhn.

Mein seidnes Röckchen, sonst so weit,

Zu eng' ist mir es nun.« –
[212]

»O Maid, gehört mir, wie du sagst,

Gehört das Kindlein mein,

So soll all all mein rotes Gold

Dafür dein eigen sein.


O Maid, gehört mir, wie du schwörst,

Gehört das Kindlein mein,

So soll mein Land und Leut' und Burg

Dein und des Kindleins sein.« –


»O Graf, was ist für Lieb' und Treu

All all dein rotes Gold?

All all dein Land und Leut' und Burg

Ist mir ein schnöder Sold.


Ein Liebesblick aus deinem Aug',

So himmelblau und hold,

Gilt mir, und wär' es noch so viel,

Für all dein rotes Gold.


Ein Liebeskuß von deinem Mund,

So purpurrot und süß,

Gilt mir für Land und Leut' und Burg,

Und wär's ein Paradies.« –


»O Maid, früh morgen trab' ich weit

Zu Gast nach Weißenstein,

Und mit mir muß die schönste Maid,

Wohl auf, wohl ab am Rhein.« –


»Trabst du zu Gast nach Weißenstein,

So weit schon morgen früh;

So laß, o Graf, mich mit dir gehn,

Es ist mir kleine Müh.


Bin ich schon nicht die schönste Maid,

Wohl auf, wohl ab am Rhein;

So kleid' ich mich in Bubentracht,

Dein Leibbursch dort zu sein.« –


»O Maid, willst du mein Leibbursch sein,

Und heißen Er statt Sie;

So kürz' dein seidnes Röcklein dir

Halb zollbreit überm Knie.
[213]

So kürz' dein goldnes Härlein dir

Halb zollbreit überm Aug!

Dann magst du wohl mein Leibbursch sein;

Denn also ist es Brauch.« –


Beiher lief sie den ganzen Tag,

Beiher im Sonnenstrahl;

Doch sprach er nie so hold ein Wort:

Nun, Liebchen, reit' ein mal!


Sie lief durch Heid- und Pfriemenkraut,

Lief barfuß neben an;

Doch sprach er nie so hold ein Wort:

O Liebchen, schuh dich an! –


»Gemach, gemach, du trauter Graf!

Was jagst du so geschwind?

Ach, meinen armen armen Leib

Zersprengt mir sonst dein Kind.« –


»Ho, Maid, siehst du das Wasser dort,

Dem Brück' und Steg gebricht?« –

»O Gott, Graf Walter, schone mein!

Denn schwimmen kann ich nicht.« –


Er kam zum Strand, er setzt' hinein,

Hinein bis an das Kinn. –

»Nun steh' mir Gott im Himmel bei!

Sonst ist dein Kind dahin.« –


Sie rudert wohl mit Arm und Bein,

Hält hoch empor ihr Kinn.

Graf Waltern pochte hoch das Herz;

Doch folgt' er seinem Sinn.


Und als er überm Wasser war,

Rief er sie an sein Knie:

»Komm her, o Maid, und sieh, was dort,

Was fern dort funkelt, sieh!


Siehst du wohl funkeln dort ein Schloß,

Im Abendstrahl wie Gold?

Zwölf schöne Jungfraun spielen dort.

Die Schönste ist mir hold.
[214]

Siehst du wohl funkeln dort das Schloß,

Aus weißem Stein erbaut?

Zwölf schöne Jungfraun tanzen dort.

Die Schönst' ist meine Braut.« –


»Wohl funkeln seh ich dort ein Schloß,

Im Abendstrahl wie Gold.

Gott segne, Gott behüte dich,

Sammt deinem Liebchen hold!


Wohl funkeln seh' ich dort das Schloß,

Aus weißem Stein erbaut.

Gott segne, Gott behüte dich,

Sammt deiner schönen Braut!« –


Sie kamen wohl zum blanken Schloß,

Wie Gold im Abendstrahl,

Zum Schloß, erbaut aus weißem Stein,

Mit stattlichem Portal.


Sie sahn wohl die zwölf Jungfraun schön;

Sie spielten lustig Ball.

Die zwölfmal schöner war, als sie,

Zog still ihr Roß zu Stall.


Sie sahn wohl die zwölf Jungfraun schön;

Sie tanzten froh ums Schloß.

Die zwölfmal schöner war, als sie,

Zog still zur Weid' ihr Roß.


Des Grafen Schwester wundersvoll,

Gar wundersvoll sprach sie:

»Ha, welch ein Leibbursch! Nein, so schön

War nie ein Leibbursch! Nie!


Ha, schöner als ein Leibbursch je

Des höchsten Herrn gepflegt!

Nur daß sein Leib, zu voll und rund,

So hoch den Gürtel trägt!


Mir däucht, wie meiner Mutter Kind,

Lieb' ich ihn zart und rein.

Dürft' ich, so räumt' ich wohl zu Nacht

Gemach und Bett ihm ein.« –
[215]

»Dem Bürschchen, rief Herr Walter stolz,

Das lief durch Kot und Moor,

Ziemt nicht der Herrin Schlafgemach,

Ihr Bett nicht von Drapd'or.


Ein Bürschchen, das den ganzen Tag

Durch Kot lief und durch Moor,

Speist wohl sein Nachtbrot von der Faust,

Und sinkt am Herd' aufs Ohr.« –


Nach Vespermahl und Gratias

Ging Jedermann zur Ruh.

Da rief Graf Walter: »Hier, mein Bursch!

Was ich dir sag', das thu!


Hinab, geh flugs hinab zur Stadt,

Geh alle Gassen durch!

Die schönste Maid, die du ersiehst,

Bescheide flugs zur Burg!


Die schönste Maid, die du ersiehst,

All säuberlich und nett,

Von Fuß zu Haupt, von Haupt zu Fuß,

Die wirb mir für mein Bett!« –


Uns flugs ging sie hinab zur Stadt,

Ging alle Gassen durch.

Die schönste Maid, die sie ersah,

Beschied sie flugs zur Burg.


Die schönste Maid, die sie ersah,

All säuberlich und nett,

Von Fuß zu Haupt, von Haupt zu Fuß,

Die warb sie ihm fürs Bett. –


»Nun laß, o Graf, am Bettfuß nur

Mich ruhn bis an den Tag!

Im ganzen Schloß ist sonst kein Platz,

Woselbst ich rasten mag.« –


Auf seinen Wink am Bettfuß sank

Die schönste Maid dahin,

Und ruhte bis zum Morgengrau

Mit stillem frommen Sinn. –
[216]

»Hallo! Hallo! Es tönet bald

Des Hirten Dorfschallmei.

Auf, fauler Leibbursch! Gib dem Roß,

Gib Haber ihm und Heu!


Bursch, goldnen Haber gib dem Roß,

Und frisches grünes Heu!

Damit es rasch und wohlgemut

Mich heimzutragen sei.« –


Die sank wohl an die Kripp' im Stall;

Ihr Leib war ihr so schwer.

Sie krümmte sich auf rauhem Stroh

Und wimmert', o wie sehr!


Da fuhr die alte Gräfin auf,

Erweckt vom Klageschall;

»Auf, auf, Sohn Walter, auf und sieh!

Was ächzt in deinem Stall?


In deinem Stalle haust ein Geist

Und stöhnt in Nacht und Wind.

Es stöhnet, als gebäre dort

Ein Weiblein jetzt ihr Kind.« –


Hui sprang Graf Walter auf und griff

Zum Hacken an der Wand.

Und warf um seinen weißen Leib

Das seidne Nachtgewand.


Und als er vor die Stallthür trat,

Lauscht' er gar still davor.

Das Ach und Weh der schönsten Maid

Schlug kläglich an sein Ohr.


Sie sang: »Susu, lullull mein Kind!

Mich jammert deine Not.

Susu, lullull, susu, lieb lieb!

O weine dich nicht tot!


Sammt deinem Vater schreibe Gott

Dich in sein Segensbuch!

Werd' ihm und dir ein Purpurkleid,

Und mir ein Leichentuch!« –
[217]

»O nun, o nun, süß süße Maid,

Süß süße Maid, halt ein!

Mein Busen ist ja nicht von Eis

Und nicht von Marmelstein.


O nun, o nun, süß süße Maid,

Süß süße Maid, halt ein!

Es soll ja Tauf' und Hochzeit nun

In einer Stunde sein.« –


Quelle:
Bürgers Gedichte in zwei Teilen. Teil 1: Gedichte 1789. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart 21914, S. 212-218.
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