Im Wetter auf der Heimfahrt

[394] O du lieber wilder Regen

O du lieber Sturm der Nacht

Da der Finsternis entgegen

Ich mein Licht nach Haus gebracht.[394]


Sturm du warst ein Bild des Lebens

Licht du warst der Liebe Bild

Das im Drang des Widerstrebens

Leuchtet unter Jesu Schild.


Doch ich bebe, zieht so brausend

Spät der Sturm mir noch durchs Haar

Treibt das welke Laub mir sausend

Nach im Kreis um den Altar.


Meine Lampe flackert, lecket,

Rußt die blanke Leuchte an.

Zuckend hin und her geschrecket

Zeigt ihr Schein mir irre Bahn.


Gleich' ich doch dem armen Schwimmer

Der zum teuren Ziele ringt

Den verführt vom falschen Schimmer

Bald das wilde Meer verschlingt.


Alles hab' ich sinken lassen

Sinken alle Lust der Welt

Eines treu ans Herz zu fassen

Was mich über Meer erhält.


Eine Gott gefallne Blüte

Trägt und hebt mein brennend Herz,

Treib o Woge die verglühte

Asche endlich heimatwärts.


Aber diese Blüte kühlet

Ewig mir die heiße Glut

Nie verzehrt, die in mir wühlet

Mich der Flamme irre Wut.


O ertränk' mich wilder Regen

Schleudre mich du Sturm der Nacht

Einem scharfen Fels entgegen,

Daß mein schwerer Traum erwacht.[395]


Wind und Wasser um mich zanken

Auf den Bahnen wankt das Licht,

Schwarze Wolken der Gedanken

Stürzen vor das Weltgericht.


Soll ich fliehen soll ich bleiben

O unnennbar liebes Gut!

Wolle mich zum Ziele treiben

Wo die ganze Hoffnung ruht.


Alles, was im Sturm zu schiffen

Einst mein banger Arm umfaßt

Treibt um mich, der selbst ergriffen

Schwebt ohn' Steuer und ohn' Mast.


Eines ist mir nur geblieben

Eines, das ich nie verlor

Ein unsterblich treues Lieben

Reißt mich überm Meer empor.


Heil dir, die des Sturmes Zügel

Wie mit Kinderhänden lenkt

Und die reinen Himmelsflügel

Selig durch die Nacht hin schwenkt.


Immergrüne Dornenkrone

Die die Rosen seelwärts flicht

Daß der Leib aufschreit, o schone,

Und der Geist in Wonne bricht.


Ja ich trag' dich dicht am Herzen,

Du zerreißest mir die Brust

Doch die Nesselglut der Schmerzen

Deckt mir eine heil'ge Lust.


Selig, gehst du treu zur Seiten,

Schweb' ich durch die Wetternacht

Ist es doch ein süßes Leiden

Wenn die fromme Lippe lacht.[396]


O unnennbar lebend Sterben

Himmelsbrot in Erdennot,

Lachen in uns selbst die Erben,

Macht der Tod die Wangen rot!


Tagsanbruch im Augenbrechen

Auch den Durst machst du zum Trank

Dornen blühn, wenn Rosen stechen

Erdenheil ist himmelskrank!


Wer bist du? Mit müden Händen

Fasset dich ein letzter Traum

Als die Nacht sich wollte wenden

Tratst du hell ihr auf den Saum.


Jakobsstraße, Jakobsleiter,

Engel steig allein nicht auf,

Öffne doch die Türe weiter,

Treibe meinen müden Lauf.


O du Kind, Geliebte, Schwester

Schatten, Leben, Leid und Lust.

Alle Vögel haben Nester

Und mein Herz hat eine Brust.


An der Türe angekommen

Sprachst du mir ein freundlich Wort

Hättst mich gerne aufgenommen

Doch mein Richter trieb mich fort.


Wenn ich einstens kann verdienen

Unter deinem Dach zu ruhn

Ist der Morgen schon erschienen

Andres hab ich noch zu tun.


Muß noch einsam ringend steuern

Durch die wilde Wetternacht

Bis zu allen Fegefeuern

Mir dein Flügel Kühlung facht.[397]


O zu selig, daß ich Armer

Stehe in so edler Pein.

Daß ich ewig den Erbarmer

Seh' in des Gerichtes Schein.


Und so bin durch Wind und Wogen,

Ich wie ein betrübtes Kind

Durch die Blumen hingezogen

Daß ich dir ein Sträußlein bind'.


Und der Strauß den ich gepflücket

Ist dies sturmverwirrte Lied

Würd' er an dein Herz gedrücket

Dann wär' er dem Herrn erblüht.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 394-398.
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