Achter Auftritt.

[61] Don Ferdinand. Don Diego. Don Arias. Don Rodrigo. Don Alonso. Don Sancho. Die Infantin. Chimene. Leonore. Elvira.


DIE INFANTIN.

Chimene, still die Tränen; ohne Trauer

nimm hier aus der Fürstin Hand den Sieger.[61]

DON RODRIGO.

Sire, zürnt nicht, wenn mich vor Euren Augen

Achtung und Liebe ihr zu Füßen wirft!

Ich komme nicht, den Siegespreis zu fordern,

ich komme, Euch aufs neu mein Haupt zu bieten;

nicht meine Liebe falle ins Gewicht,

noch Kampfgesetz, noch eines Königs Wille;

wenn, was geschehn, zu wenig für den Vater –

was soll ich tun? Noch tausend Nebenbuhler

bekämpfen? Meine Taten zu den beiden

Enden der Welt ausdehnen? Ganz allein

ein Lager stürmen? Fliehn machen ein Heer?

Den Ruhm der Sagenhelden überflügeln?

Ist meine Schuld dadurch zu sühnen, wage

ich alles, und werd' alles auch vollbringen!

Doch, kann die stolze nie gebeugte Ehre

der Tod des Schuld'gen nur besänftigen,

so waffnet Menschenmacht nicht gegen mich.

Hier ist mein Haupt – rächt Euch mit eignen Händen.

Den Unbesiegten dürft nur Ihr besiegen!

Nehmt eine andre unmögliche Rache,

doch laßt den Tod genug der Strafe sein,

verbannt mich nicht aus Eurem Angedenken,

und, weil mein Sterben Eure Ehre wahrt,

belohnt es, mein Gedächtnis zu bewahren;

zuweilen, mein Geschick beklagend, sprecht:

»Er wär' nicht tot, wenn er mich nicht geliebt.«

CHIMENE.

Steh auf, Rodrigo! Sire, ich bekenne,

zuviel sagt' ich, um jetzt zu widerrufen.

Ich kann Rodrigos Tugenden nicht hassen,

und das Gebot des Königs heischt Gehorsam.

Doch könnt, wozu Ihr schon mich auch verdammt,

vor Euren Augen Ihr dies Bündnis dulden?

Und, zwingt Ihr meine Pflicht dazu, ist auch

Eure Gerechtigkeit ganz einverstanden?

Bedarf der Staat so sehr Rodrigos, muß

ich Lohn für das sein, was er für Euch tut,[62]

mich ew'gem Vorwurf weihend, meine Hände

mit meines Vaters Blut befleckt zu haben?

DON FERDINAND.

Rechtmäßig machte oft die Zeit, was erst

nicht ohn' Verbrechen möglich schien! Gewonnen

hat dich Rodrigo – du mußt ihm gehören.

Doch hat dich seine Tapferkeit auch heut

erkämpft, mußt' Feind ich deiner Ehre sein,

ihm seines Sieges Preis so früh zu schenken.

Ein Aufschub der Vermählung hebt den Ausspruch

nicht auf, der einst ihm deine Hand bestimmt.

Ein Jahr mög', willst du, deine Tränen trocknen;

indes, Rodrigo, führ die Waffen! Wie

an unserm Strand die Mauren du besiegt,

gestört ihr Trachten, ihrer Macht gewehret,

dring in ihr Reich, sie dort jetzt zu bekriegen:

Mein Heer führ an, verwüst ihr Land. Sie werden

schon zittern bei dem Namen Cid. Herr nannten

sie dich und werden dich zum König wählen.

Doch bleib im stolzen Wirken stets ihr treu;

kehr ihrer würd'ger noch, ist's möglich, wieder,

und steig durch große Taten so im Wert,

daß für sie ruhmvoll, sich dir zu vermählen!

DON RODRIGO.

Was könnt' man mir gebieten, das mein Arm

nicht möglich macht, Chimene zu besitzen

und Euch zu dienen? Muß ich fern ihr weilen,

ist hoffen dürfen, Sire, doch schon Glück!

DON FERDINAND.

Auf deinen Mut hoff und auf mein Versprechen.

Da der Geliebten Herz dein, überlaß

ihre Bedenken zu zerstreun der Zeit

und deiner Tapferkeit und deinem König![63]

Quelle:
Corneille, Pierre: Der Cid. Leipzig 1945, S. 61-64.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Cid
Three Masterpieces:
Le Cid and the Liar (Paperback) - Common
Le Cid (German Edition)
Le Cid
Der Cid

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon