Zwanzigstes Kapitel.

Die Vergnügungen der Seele.


»Obzwar ich in Mazulhims Hause großes Vergnügen gefunden hatte, so zwang doch der Vortheil meine Seele sich davon los zu reißen, und da ich nun davon überzeugt war, dass es keineswegs hier sein kann, wo meine Seele ihre Erlösung finden wird, so ging ich fort, um ein Haus zu finden, worin ich möglicherweise glücklicher sein würde, als in allen jenen, de ich bereits bewohnt hatte.

Nach längerem Herumirren das meinen Augen bloß solche Dinge bor, wie ich sie bereits gesehen hatte, oder wobei ich Ereignisse erlebte, die es nicht wert sind, Euer[467] Majestät erzählt zu werden, flog ich endlich in einen geräumigen Palast ein, welcher einem der vornehmsten Großen von Agra gehörte.

Ich irrte einige Zeit darin herum, und bestimmte endlich meinen Aufenthalt in einem der vielen herrlichen Räume, der mit besonderem Geschmack und großer Prachtliebe ausgestattet war.

In diesem Raume athmete Alles Wollust; die kunstvolle Ausschmückung, die schwellenden Möbel, der Wohlgeruch auserlesener Gewürze, die man hier unaufhörlich verbrannte, alles führte die weichste Üppigkeit vor das Auge, alles erfüllte die Seele mit Wollust in diesem feenhaften Aufenthalte des Vergnügens.

Kaum war ein Augenblick vergangen, seit ich mich in einem prächtigen Sopha niedergelassen hatte, so sah ich auch schon die Göttin, der ich angehören sollte, eintreten.

Es war die schöne Tochter des Omrah, bei dem ich mich aufhielt. Jugend, Anmuth, Schönheit und ein gewisser Reiz, welcher diese Vorzüge allein zur Geltung[468] bringt, der mächtiger als die Schönheit selber ist, und der noch niemals enträthselt wird, vereinten sich in dieser lieblichen Erscheinung.

Ihr Antlitz vereinte alles, was man sich an Liebreiz und Anmuth vorstellen kann. Meine Seele konnte sie ohne Rührung nicht ansehen, ich empfand bei ihrem Anblick tausend köstliche Gefühle, die ich zuvor nie gekannt.

Da ich nun dazu auserlesen war, manchmal den Körper dieses göttlichen Wesens zu tragen, so hörte ich auf, mich über mein hartes Los zu quälen, ja, ich begann auf einmal sogar zu fürchten, jemals gezwungen zu sein, ein anderes Leben beginnen zu müssen.«

»Ah! Brama,« sagte ich zu mir selber, »welcher Art ist denn die Glückseligkeit, die Du jenen bereitest, welche sie wohl verdienten, wenn Du in Deiner großen Güte es erlaubst, dass jene Seelen, die Deinge rechter Zorn verdammt hat, den Anblick so bezaubernder Reize genießen dürfen! Komm,« fuhr ich in Begeisterung fort, »komm, herrliches Ebenbild der Gottheit! komm eine glühende[469] Seele zu beruhigen, welche schon mit der Deinen vereint wäre, wenn ein grausamer Befehl sie nicht gewaltsam in ihrem Gefängnisse zurückhielte.«

Es schien mir fast, als ob Brama in diesem köstlichen Augenblicke meine heißen Wünsche erhören wollte.

Die Sonne war gerade am Höhepunkt angelangt. Es war unerträglich heiß. Zeinis bereitete sich gerade vor, bald die Annehmlichkeiten eines sanften Schlummers zu genießen; indem sie selbst die Vorhänge zuzog, blieb in dem Zimmer bloß jenes, für den Schlummer und die Freuden der Liebe günstige Halbdunkel, welches dem Auge nichts entzieht und dennoch viel zu den Gefühlen der Wollust beiträgt, das schließlich die Schamhaftigkeit weniger scheu sein lässt und ihr gestattet, der Liebe mehr zu gewähren.

Bald war bloß eine durchsichtige Tunika von Gaze, welche beinahe ganz offen war, die einzige Bekleidung Zeinis. Sie warf sich nachlässig auf mich.

Götter, mit welchem Entzücken nahm ich sie auf! Zum Glück für mich hatte Brama meiner Seele, als er sie in ein Sopha[470] bannte, die Freiheit gewährt, sich dort, wo es ihr beliebte, niederzulassen, wovon ich jetzt so gerne Gebrauch machte. Ich wählte mit Überlegung jenen Ort, von wo aus ich die Reize Zeinis am besten bewundern konnte, und ich that es mit dem ganzen Feuer eines zärtlichen Liebhabers und mit der Bewunderung, die selbst der gleichgiltigste Mensch ihr hatte nicht verweigern können. Himmel! welche Schönheiten boten sich meinen Blicken dar! Endlich kam der süße Schlummer, um die schönen Augen, welche mir so viel Liebe einflößten, zu schließen. Ich beschäftigte mich dann damit, alle ihre Reize einzeln zu bewundern und dann wieder auf jene zurückzukommen, die ich bereits gesehen. Obzwar Zeinis ziemlich ruhig schlummerte, so wendete sie sich doch einigemal um; und jede Bewegung, die sie machte, brachte ihre Tunika in größere Unordnung und bot meinen neugierigen Blicken neue Reize. So viel verführerische Schönheit berauschte meine Seele. Bedrückt von der Heftigkeit und der Zügellosigkeit ihrer Wünsche, blieben alle Fähigkeiten meiner Seele eingestellt und erstarrt. Umsonst bemühte ich mich einen ruhigen Gedanken[471] zu fassen, ich fühlte nur Eines, dass ich liebte, und ohne die Folgen einer so verhängnisvollen Leidenschaft vorherzusehen, oder sie zu fürchten, ergab ich mich ihr ganz.

»Köstliches Wesen,« rief ich endlich aus. »Nein, Du kannst kein sterbliches Weib sein. So viele Reize sind ihnen nicht zu Theile! Du stehst selbst über den himmlischen Wesen, und es gibt deren keines, dass Du nicht verdunkeln würdest! Ach, geruhe die Huldigungen einer Seele, die Dich anbetet, anzunehmen, hüte Dich ihr einen unwürdigen Sterblichen vorzuziehen! nein, Zeinis! Göttliche Zeinis! nein, es lebt kein Mann, der Deiner wert ist! nein, Zeinis, denn es gibt keinen, der Dir an Schönheit gleich kommt.«

Während ich mich so lebhaft mit Zeinis Schönheit beschäftigte, machte sie eine rasche Bewegung und wendete sich um. Die Lage, welche sie jetzt annahm, war mir sehr günstig und ich dachte trotz meiner Aufregung sofort daran, meinen Vortheil daraus zu ziehen. Zeinis lag jetzt auf der Seite, ihr Kopf war auf ein Kissen des Sophas geneigt[472] und ihre Lippen berührten es fast. Trotz der Strenge Bramas vermochte ich es nicht der Heftigkeit meiner Wünsche etwas[473] versagen; meine Seele beeilte sich sofort auf das Kissen und ließ sich so nahe an dem süßen Munde Zeinis nieder, dass sie schließlich ganz darauf heften blieb. Es gibt ohne Zweifel für die Seele solche Wonnengefühle, für welche es keine Worte, keinen Ausdruck der Freude gibt und für welche selbst die Freuden der Wollust nicht genug stark sind. Dieser süße, heftige und ungestüme Rausch, in welchem meine Seele sich auflöste, der alle ihre Sinne beherrschte, dieses Hochgefühl der Liebe lässt sich nicht beschreiben.

Es ist zweifellos, dass unsere Seele, wenn sie von ihren körperlichen Organen belästigt und genöthigt ist, ihre Begeisterung nach deren Schwäche zu messen, nicht im Stande ist, sich den heißen Gefühlen der Liebe so vollständig hinzugeben, als wenn sie von der körperlichen Hülle entfesselt ist. Wir bemerken ja oft, wie sie bei der lebhaftesten Empfindung dieser Freuden bemüht ist, die Hindernisse, die ihr der Körper machte, zu bewältigen. Wir fühlen, dass sie sich in ihrem ganzen Gefängnis verbreitet, eine Betrübnis hineinbringt und wie dann das quälende Feuer den Körper[474] verzehrt und vergebens einen Ausweg sucht. Wir nehmen dann wahr, wie die Seele von den vergeblichen Bemühungen, die sie gemacht, gedrückt, in eine tödliche Mattigkeit verfällt, die sie während einiger Zeit zu vernichten scheint. Ich glaube, dass dies die Ursache der Erschöpfung sei, in die uns das Übermaß der genossenen Wollust schleudert. Es ist gewiss ein trauriges Los, dass unsere Seele stets unbefriedigt bleibt, und dass sie inmitten der größten Freuden gezwungen ist, deren stets noch mehr zu verlangen, als sie finden kann. Auch meine Seele, gepresst an dem reizenden Munde Zeinis, verloren in ihrer Glückseligkeit, suchte sich noch eine größere Freude zu verschaffen. Sie versuchte es, aber vergebens, ganz in Zeinis zu schlüpfen. Denn von Brama's Machtspruch zurückgehalten, waren die Bemühungen meiner Seele vergebens und alle Anstrengungen vermochten es nicht, sie zu befreien. Ihre verdoppelten Ausfälle, ihre Glut, die Raserei ihrer Begierde, erwärmten dem Anscheine nach auch Zeinis Sinne. Kaum bemerkte es meine Seele, welchen Eindruck sie auf die ihrige machte, so verdoppelte sie ihre[475] Anstrengungen, sie irrte in größerer Lebhaftigkeit auf den süßen Lippen Zeinis herum, sie schwang sich mit größerer Geschwindigkeit empor und heftete sich mit innigerer Glut wieder darauf zurück. Die Aufregung, welche sich Zeinis Seele zu bemächtigen begann, erhöhte die Freuden und Extase der meinigen. Zeinis seufzte, ich seufzte auch, ihr Mund flüsterte einige unklaren Worte, eine anmuthige Röthe färbte ihr Antlitz. Der lieblichste Traum umfing ihre Sinne. Sanfte Bewegungen folgten dem Frieden, von dem sie befangen war.

»Ja! Du liebst mich,« rief sie zärtlich aus. Einige sanften, von zärtlichen Seufzern unterbrochenen Worte folgten diesem Ausruf. »Zweifelst Du daran,« fuhr sie fort, »dass Du nicht geliebt seist?«

Noch weniger frei als die schlafende Zeinis, hörte ich ihr süßes Flüstern mit großer Erregung, und hatte leider nicht die Kraft, ihr zu antworten. Bald war ihre Seele ebenso hingerissen wie die meinige und ergab sich ganz der Glut, von welcher sie verzehrt wurde; ein süßer Schauer zu Zweien ... Himmel! wie schön wurde[476] Zeinis in diesem Augenblicke. Mein Glück und ihre Freuden entwichen mit ihrem Erwachen. Es blieb ihr bloß ein süßer Wohn, der sich ihrer Sinne bemächtigt hatte, nur ein zärtliches Schmachten, welchem sie sich mit derselben Wollust hingab, wie dem Vergnügen, das sie zuvor genossen hatte. Ihre Blicke, in denen die Liebe allein thronte, waren noch belebt von dem göttlichen Feuer, das ihre Adern durchströmte. Als sie die Augen öffnete, hatten sie jenen wollüstigen Ausdruck, den meine Seele und der Aufruhr ihrer Sinne hineingelegt hatten, bereits verloren, aber wie rührend schön waren sie dennoch! Welcher Sterbliche wäre nicht dem Übermaße seiner Zärtlichkeit und der Glückseligkeit erlegen, die er sich selbst bereitet, diese Augen so zu sehen.

»Zeinis!« rief ich in Extase aus. »Reizende Zenis, ich allein bin Derjenige, der Dich glücklich machen könnte; nur in der Vereinigung Deiner Seele mit der meinigen kannst Du Deine wahren Freuden finden. Ach! möchtest Du sie stets bloß ihr allein verdanken, und nur allein mein glühendes Verlangen erwidern. Nein, Zeinis, niemals[477] kannst Du eine treuere und zärtlichere Seele finden! Ach, vermöchte ich meine Seele der Gewalt Bramas zu entziehen, oder wenn er sie vergessen wollte; ewig so an die Deinige gefesselt, könnte ihre Unsterblichkeit durch Dich allein ein unbeschreibliches Glück für sie werden, so dass sie gerne daran glauben würde, ihr Sein zu verewigen. Wenn ich Dich jemals verlieren sollte, angebetete Seele! Ach! wie könnte ich in der Unermesslichkeit der Natur, oder von den grausamen Fesseln Bramas, womit er mich vielleicht belasten würde, niedergedrückt, Dich jemals wiederfinden! Ah. Brama! Wenn Deine erhabene Macht mich von Zeinis losreißt, so gewähre mir wenigstens, dass ich, so schmerzlich meine Erinnerung an Zeinis auch sein mag, sie niemals verliere.«

Während meine Seele so zärtlich zu Zeinis sprach, ergab sich dieses reizende Mädchen den süßesten Träumereien, und ich begann mich über die Gleichgiltigkeit zu betrüben, mit der sie sich den holden Traum hinnahm, über welchen ich mich einige Augenblicke zuvor so sehr beglückt fühlte.

»Zeinis,« sagte ich zu mir, »ist ohne[478] Zweifel an ähnliche Freuden, wie sie eben genossen, schon gewöhnt. So sehr diese Freuden ihre Sinne bewältigt haben, so wenig haben sie ihre Einbildungskraft überrascht, sie träumt, aber sie scheint nicht nach der Ursache der Erregung, von welcher sie bewegt war, zu forschen. Sie scheint wohl mit Allem vertraut zu sein, was der Liebe an zärtlichsten Ausdrücken eigen ist, und ich, ich habe ihr bloß die Vorstellung davon angedeutet. Ein anderer Sterblicher hat schon in dem Herzen Zeinis den Keim aller Zärtlichkeit erweckt, welche die Natur hineingelegt hat. Es ist sein Bild, nicht meine Glut, die sie entfacht hat; sie kennt die Liebe schon, sie hat von ihr gesprochen, sie schien in der größten Aufregung, von der Sorge gequält zu sein, sich ihren Geliebten zu sichern, der vielleicht daran gewöhnt ist, ihre Angst und ihre Besorgnisse in seiner Gewalt zu haben. Ach! Zeinis! Wenn es wahr wäre, dass Du einen Andern liebst, um wie vieles schrecklicher würde mein trauriges Los in dem Zustande, zu welchem Brama mich verdammt hat, noch sein.«

Meine unglückliche Seele quälte sich noch[479] mit tausend ähnlichen Gedanken, als ich ein leises Klopfen an der Thüre vernahm.

Zeinis heißes Erröthen, bei diesem unerwarten Geräusch, erhöhte meine Befürchtungen und erfüllte meine Seele mit Trauer. Sie richtete hastig die Unordnung ihrer leichten Kleidung, in welche sie die Täuschung ihres Traumes versetzt hatte, und als sie anständiger aussah, um vor jemanden erscheinen zu können, befahl sie, man möge eintreten.

»Ach!« sagte ich in namenlosem Kummer zu mir selber; »dass ist vielleicht ein Gegner, der hier vor meinen Blicken erscheint; wenn es ein Glücklicher ist, oh! welche Qual. Wenn er es wird, dann möge Zeinis so unschuldig sein, als ich sie dafür halte, und ich möge nur ihr meine Befreiung verdanken, aber welch harter Schlag wird mich treffen, wenn ich bei den Gefühlen, die ich für sie hege, gezwungen sein werde, mich von ihr zu trennen.«

Obzwar ich bei meiner Kenntnis der Sitten und Gebräuche von Agra wohl gegen die Furcht, Zeinis verlassen zu müssen, gesichert sein konnte, und es ziemlich wahrscheinlich[480] war, dass sie in dem Alter von fünfzehn Jahren, welche sie ungefähr zählen mochte, kaum mehr jene Eigenschaft hatte, die Brama verlangte, um mich zu erlösen und einem andern Leben wiederzugeben, so konnte es auch leicht möglich sein, dass ich in dieser Beziehung das Ärgste von ihr zu fürchten hatte, und so grausam es auch für mich war, ein steter Zeuge aller Gefälligkeiten zu sein, welche sie meinem Nebenbuhler erwies, so zog ich diese Qualen doch jenen vor, sie zu verlieren.

Auf Zeinis Befehl trat ein junger Inder, eine schöne glänzende Erscheinung, in das Zimmer ein. Je mehr er mir würdig schien, ihr zu gefallen, desto mehr entflammte er meinen Hass; und er verdoppelte sich, als ich die zärtliche Miene sah, womit Zeinis ihn empfing. Erregung, Liebe und Bangen malten sich wechselweise auf ihrem Antlitz, er selbst erschien ebenso bewegt wie sie, aber nach seiner bescheidenen und ehrfurchtsvollen Miene schloss ich, dass, wenn er auch geliebt wurde, sie es sich noch nicht gestanden hatten.

Trotz seiner Bescheidenheit und seiner[481] außerordentlichen Jugend (denn er kam mir kaum älter als Zeinis vor) schien es mir doch nicht, als ob er bei seiner ersten Liebe wäre, und ich hoffte, dass ich bei diesem Abenteuer bloß jenen Kummer haben würde, den ich am leichtesten zu tragen vermochte.

»Ach, Pheleas,« sagte ihm Zeinis mit Erregung, »was suchst Du hier?«

»Dich, die ich zu finden hoffte,« antwortete er, auf die Knie sinkend, »Dich, ohne der ich nicht mehr leben kann, und die mir gestern versprach, sie ohne Zeugen sehen zu dürfen.«

»Ach! hoffe es nicht, dass ich Dir Wort halten werde,« erwiderte sie lebhaft; »gehen wir hinweg, ich will nicht länger in diesem Zimmer verweilen.«

»Zeinis,« erwiderte er, »missgönnst Du mir das süße Glück, einen Augenblick mit Dir allein zu bleiben, und ist es möglich, dass Du sobald die erste Gunst bereuest, die Du mir erweisest?«

»Aber,« antwortete sie mit verlegener Miene »kann ich denn nicht anderswo als hier mit Dir sprechen, und wenn Du mich so sehr liebtest, wie Du behauptest, würdest[482] Du dann auf einer Sache, die mir so viel Widerwillen einflößt, beharren?«

Ohne ihr zu antworten, ergriff Pheleas ihre schöne Hand und küsste sie mit solchem Feuer, wie nur ich selber es im Stande gewesen wäre. Zeinis sah ihn schmachtend an, sie seufzte; vielleicht war sie noch bewegt von dem schönen Traume, der ihr den Geliebten so innig verlangend gezeigt hatte und in dem sie so nachgebend gewesen. Durch den süßen Eindruck, den er bei ihr zurückgelassen, war sie jetzt zur Liebe mehr als jemals geneigt; jedesmal, wenn ihre schönen Augen jenen des Pheleas begegneten, wurden sie zärtlicher und bekamen jenen wollüstigen Ausdruck, den meine heiße Liebe wenige Augenblicke zuvor hineingezaubert hatte. Trotz der geringen Erfahrung des Pheleas ließ ihm die zärtliche Aufmerksamkeit, womit er selbst die leiseste Bewegung Zeinis scharf beobachtete, nur zu deutlich erkennen, dass sie ihn mit Freude sah. Die reizende Zeinis war im Grunde einfach und natürlich, sie bemühte sich nur aus Schamhaftigkeit die Verwirrung, in welche sie seine Gegenwart versetzte, zu verbergen; es gelang ihr[483] schlecht, denn je mehr sie sich verstellte, desto mehr verrieth sie ihm ihre Neigung.

Pheleas war noch nicht genug gewandt, um über eine kluge Kokette zu triumphieren, deren falsche Tugend und Anstand ihn erschreckt haben würden; aber er war nur zu gefährlich für Zeinis, die von ihrer Liebe gedrängt, trotzdem sie sich nachzugeben fürchtete, dennoch die Art nicht kannte, auf welche sie sich hätte vertheidigen können.

So sehr es sie auch beglückte, Pheleas vor sich auf den Knien zu sehen, bat sie ihn dennoch, sich sofort zu erheben. Ohne ihr zu antworten, umfasste er ihre Knie und presste sie mit so zärtlichem Drucke und solcher Leidenschaft an sich, dass Zeinis bloß darüber seufzte.

»Ach, Pheleas!« sagte sie mit Rührung zu ihm, »gehen wir weg von hier, ich beschwöre Dich.«

»Wirst Du mich stets fürchten?« fragte er sie zärtlich. »Ach, Zeinis, wie wenig rührt Dich meine Liebe! Was kannst Du denn von einem Geliebten fürchten, der Dich anbetet, der fast von Kindheit an Deinen Reizen huldigte; und der seither nur für[484] sie ein Auge hatte und nur für Dich leben will? Zeinis,« klagte er Thränen vergießend, »sieh den Zustand, in den Du mich versetzest.«[485]

Nachdem er diese Worte gesprochen, sah er mit thränenfeuchten Augen zu ihr empor; sie betrachtete ihn eine Weile mit bewegter Miene und folgte endlich den Gefühlen, die ihre Liebe und Pheleas Kummer in ihr erweckten.

»Ach, Grausamer,« sagte sie mit erstickter Stimme zu ihm, »habe ich diese Vorwürfe von Dir verdient, und welche Beweise meiner Zärtlichkeit kann ich Dir denn noch geben, wenn Du nach allen, die Du erhalten, noch an meiner Liebe zweifelst?«

»Wenn Du mich liebtest,« erwiderte er, »würdest Du gerne mit mir in dieser Einsamkeit verweilen und anstatt von hier hinweg zu eilen, würdest Du keine andere Befürchtungen hegen, als jene, dass man kom men könnte uns hier zu stören.«

»Nun wohl,« erwiderte sie naiv, »wer sagt Dir denn, dass ich andere Befürchtungen habe.«

Bei diesen Worten erhob sich Pheleas rasch von seinen Knien, lief zur Thüre und verschloss sie. Im Zurückgehen begegnete er Zeinis, welche erröthend darüber, was er[486] that, sich erhoben hatte, um ihn an seinem Beginnen zu hindern; aber er achtete nicht darauf, sondern nahm sie in feine Arme,[487] und trug sie trotz ihres Sträubens, welches sie ihm entgegensetzte, über das Zimmer, legte sie wieder auf mich und setzte sich neben sie.

Ich weiß nicht, ob Zeinis dachte, dass wenn eine Thüre verschlossen ist, es unnütz sei, sich weiter zu vertheidigen, oder dass, wenn sie weniger fürchtete überrascht zu werden, sie selbst vor den Folgen mehr Angst bekam; aber kaum als Pheleas neben ihr war, so erröthete sie weniger darüber, was er that, als sie das befürchtete, was er zu thun beabsichtigte; noch ehe er etwas von ihr begehrte, beschwor sie ihn mit zitternder Stimme und bestürzter Miene, nichts von ihr zu verlangen.

Der ängstliche Ton, in welchem Zeinis sprach, war mehr zärtlich und gar nicht befehlend. Er verletzte Pheleas gar nicht, noch hielt er ihn zurück. Er legte sich neben sie und presste sie mit solcher Glut in seine Arme, dass Zeinis es bald einsah, wie sehr sie ihn zu fürchten hatte, und dennoch theilte sie willenlos seine Wonne.

Obzwar sie sehr bewegt war, so trachtete sie dennoch mit Gewalt sich den Armen[488] des Pheleas zu entwinden, aber es geschah mit so vielem Verlangen, noch weiter darin zu verweilen, dass er es nicht nöthig hatte, sich besonders anzustrengen, um ihr ohnmächtig Sträuben unmöglich zu machen. Sie sahen einander einige Zeit ohne zu sprechen an. Als jedoch Zeinis fühlte, wie sehr ihre Aufregung zunahm, fürchtete sie, später nicht mehr die Kraft zu haben sich zu beherrschen, und bat Pheleas sanft und ergeben, sie zu lassen.

»Willst Du mich denn niemals glücklich machen?« fragte er sie.

»Ach!« antwortete sie mit solcher Unbesonnenheit, die ich ihr noch nicht verziehen habe, »Du bist es ja nur zu sehr, und noch ehe Du hierher kamst, warst Du es noch viel mehr.«

Da diese Worte für Pheleas geheimnisvoll waren, so schien es ihm sehr wichtig zu erfahren, was sie bedeuten sollten; er beschwor sie so lange, ihm dieselben zu erklären und trotz ihrer Unlust, davon zu sprechen, zwang er sie so zärtlich dazu, sah sie liebesglühend an, dass er sie schließlich mit seinen magischen Blicken in Verwirrung brachte.[489]

»Aber wenn ich es Dir sage,« sprach sie mit erregter Stimme, »wirst Du es dann nicht missbrauchen?«

Er schwur ihr, dass nein, aber es geschah mit einer solchen Leidenschaft, welche sie, statt zu beruhigen, darüber in keinem Zweifel mehr lassen konnte, dass er sein Wort nicht halten werde. Sie war wohl zu erregt, um diese Idee fassen zu können, oder zu unerfahren, um die Macht dieses Geständnisses, das sie ihm soeben gemacht, zu kennen.

Nachdem sie sich noch einige Augenblicke schwach gegen sein stürmisches Drängen vertheidigt hatte, gestand sie ihm endlich, dass sie einige Augenblicke, bevor er eingetreten war, geschlummert und ihn im Traume, aber in so mächtiger Liebesglut gesehen hat, von der sie wachend keinen Begriff hatte.

»War ich in Deinen Armen?« fragte er sie, indem er sie fest in die seinigen presste.

»Ja,« antwortete sie, ihre erregten Augen zu ihm anschlagend.

»Ach,« fuhr er in äußerster Rührung fort, »Du liebtest mich im Traume mehr, als Du mich jetzt liebst.«[490]

»Ich könnte Dich ja nicht mehr lieben,« erwiderte sie, »aber es ist wahr, dass ich mich ängstigte, es Dir zu sagen.«

»Und dann?« fragte er sie.

»Ach, Pheleas!« rief sie erröthend aus »wonach fragst Du mich? Du warst glücklicher, als ich wünschte, dass Du es jemals wärest, und Du warst doch nicht weniger ungerecht.«

Pheleas konnte bei diesen süßen Worten seine glühende Liebe nicht mehr mäßigen und durch das Geständnis, welches Zeinis ihm gemacht, verwegener, erhob er sich ein wenig, und sich über sie hinneigend bemühte er sich, um seinen Mund ihren Lippen zu nähern.

So verwegen auch sein Beginnen war, vielleicht hätte Zeinis sich nicht darüber beleidigt; da aber Pheleas in seiner Glut bloß darauf bedacht war, sein Glück zu erreichen, so trieb er seine Kühnheit so weit, dass Zeinis meinte, ihm das, was er that, niemals verzeihen zu können.

»Ach! Pheleas!« rief sie schmerzlich aus »hältst Du so Deine Versprechungen, die Du mir gemacht hast, und fürchtest Du so wenig mich zu erzürnen?«[491]

Da die leidenschaftliche Umarmungen des Pheleas immer heftiger wurden, so vertheidigte sich Zeinis wirklich ernst, und er gewahrte so viel Zorn und Unmuth in ihren Augen, dass er beschloss nicht mehr so hartnäckig auf seinem Sieg zu bestehen, den er jetzt nicht erringen konnte, ohne jene, die er so heiß liebte, nicht tödlich zu beleidigen, und der durch den entschiedenen Widerstand Zeinis für ihn ein sehr zweifelhafter wurde. Ob aus Achtung, ob aus Bescheidenheit, er ließ endlich nach und wagte es hierauf nicht mehr Zeinis anzusehen.

»Nein,« sagte er traurig zu ihr, »wie grausam Du auch sein magst, ich werde mich nicht dem Unglück aussetzen, Dir zu missfallen. Wenn ich Dir theuerer wäre, dann würdest Du Dich ohne Zweifel weniger scheuen, mein Glück zu erhöhen; aber da ich nicht mehr hoffen darf, Dich gefühlvoller zu machen, so werde ich Dich deshalb doch nicht weniger zärtlich lieben.«

Nachdem er diese Worte beendet hatte, erhob er sich und ging hinaus. Tödlich betrübt darüber, dass Pheleas sie so verließ, wagte es Zeinis dennoch nicht ihn zurückzurufen.[492] Das Haupt auf die Hände gestützt blieb sie auf dem Sopha zurück und weinte. Über dem plötzlichen Weggang ihres Geliebten beunruhigt, stand sie endlich auf, um nachzusehen, was aus ihm geworden war, da stürzte er von seiner zärtlichen Liebe wieder zu ihr hingezogen in das Zimmer zurück. Sie erröthete vor Wonne, als sie ihn wiedersah, und sank einen tiefen Seufzer ausstoßend auf mich zurück.[493]

Er beeilte sich vor ihr auf die Knie niederzusinken und nahm zärtlich ihre Hand in die seine, doch wagte er sie nicht zu küssen, sondern benetzte sie bloß mit Thränen.

»Ach! stehe auf,« sagte Zeinis, ohne ihn anzusehen.

»Nein, Zeinis,« erwiderte er, »nur zu Deinen Füßen will ich mein Urtheil hören, ein einziges Wort. – Aber Du weinest, Geliebte! Ach, Zeinis, bin ich die Ursache Deiner Thränen?«

Die unbarmherzige Zeinis drückte ihm in diesem entscheidenden Augenblicke die Hand, sie heftete ihre Augen, welche die Zähren noch verschönerten, auf ihn und seufzte bloß, ohne ihm jedoch zu antworten. Der süße schmachtende Ausdruck in ihren Augen war für Pheleas nicht mehr so unheilbringend, als sie es für mich gewesen.

»Himmel!« rief er sie stürmisch umarmend aus. »Ist es möglich, dass Zeinis noch im Stillschweigen verharrt?«

»Leider! Pheleas verlor nichts mehr von dem, was sie ihm zu sagen schien, und er suchte das Geständnis, welches sie ihm verweigerte, auf ihren Lippen.[494]

Jetzt hörte ich nur mehr das Geräusch erstickter Seufzer. Pheleas hatte sich dieses reizenden Mundes bemächtigt, wo meine Seele einige Augenblicke vor ihm ...

Aber warum quäle ich mich selber und rufe für mich so traurige Erinnerungen wach? ...

Zeinis stürzte sich nun freiwillig in die Arme ihres Geliebten. Die Liebe, ein kleiner Rest von Schamhaftigkeit, der ihr geblieben war, erhöhten ihre Anmuth, belebten ihr Angesicht und strahlten aus ihren Augen. Dieses erste Sichhingeben dauerte lange; Zeinis und Pheleas beide blieben lange unbeweglich, ihre Seelen verschmolzen in einander, sie waren von ihrer Seligkeit überwältigt und der Welt entrückt.«

»Aber dies Alles,« meinte der Sultan »machte Dir gewiss kein großes Vergnügen, nicht wahr? denn in was hättet Ihr Euch denn zu verlieben gehabt, da Du keinen Körper hattest. Das war eine unbegreifliche Thorheit: denn bei meiner Ehre, wohin konnte denn diese Laune führen? Du siehst wohl ein, dass man Dir manchmal Einwendungen machen muss.«[495]

»Sire,« antwortete Amanzei, »es war leider erst dann, als meine Liebe bereits erwacht war, dass ich es fühlte, wie sehr mich diese unheilvolle Leidenschaft quälen würde, wie es aber in diesem Falle gewöhnlich geschieht, kam meine Einsicht zu spät.«

»Ich bedauere wahrhaftig Dein Missgeschick; denn Du gefielst mir so ziemlich auf dem Munde dieses jungen Mädchens, von dem Du eben erzählst,« erwiderte der Sultan, »und es ist wirklich sehr schade, dass man Dich gestört hat –«

»So lange als Zeinis Pheleas widerstanden hatte,« sagte Amanzei, »hoffte ich, dass nichts sie besiegen konnte, und als ich sie gefühlvoll werden sah, so glaubte ich noch, dass sie, durch die Vorurtheile ihres zarten Alters zurückgehalten, ihre Schwäche nicht bis zu jenem Punkte führen würde, der mein Unglück herbeiführen könnte.

Ich fühlte es zwar, als ich sie ihren Traum erzählen hörte, von dem ich dachte, dass sie ihn bloß mir verdankte, und ich von ihr selbst hörte, dass es allein Pheleas Bild war, welches ihr im Traume vorgeschwebt[496] war, und sie die Freuden, die sie darin genossen, bloß der Gewalt, die er über ihre Sinne hatte, verdankte, dass mir sehr wenig Hoffnung blieb, dem harten Schicksale, welches ich so sehr fürchtete, zu entgehen. Weniger zartfühlend, as ich vielleicht hätte sein sollen, tröstete ich mich vorläufig mit der Gewissheit, die ich hatte, das Glück mit ihm zu theilen. Obzwar er Zeinis seiner einzigen Liebe und seiner Treue, die er ihr stets bewahrt hatte versicherte, so schien es mir nicht möglich, dass Pheleas, der das Alter von fünfzehn bis sechzehn Jahren erreicht hatte, nicht wenigstens die Neugier und Wissbegierde gehabt hätte, die ihn unfähig dazu machte, meine Seele aus ihrer Gefangenschaft zu erlösen, die mir lange so grausam und schmachvoll erschienen, die ich aber nun leider dem ruhmreichsten Posten, der eine Seele ausfüllen konnte, vorzog. Obzwar ich über Zeinis Schwäche ganz verzweifelt war, so erwartete ich ihre Folgen nun mit weniger Kummer, seit ich es vermuthete, dass, was auch immer sich nun ereignen würde, ich nicht gezwungen wäre sie zu meiden. So unerträglich[497] für mich auch die zärtliche Lethargie, in der sie schwelgten, wurde, und jeder Seufzer, jedes Wonneflüstern meine eifersüchtige Qual erhöhte, so hielt sie das verhängnisvolle Vorhaben des Pheleas noch zurück. Obzwar mir diese Stille bewies, in welchem hohen Grade sie ihre Wonne fühlten, so bat ich dennoch Brama innigst, nicht zuzugeben, dass sie sich zerstreute. Unnützer Wunsch! ich war ja zu lasterhaft dazu, dass meinetwegen zwei unschuldige Seelen, die ihrer Glückseligkeit würdig waren, geopfert werden sollten.

Nachdem Pheleas eine geraume Zeit an den Busen Zeinis geschmachtet hatte, empfand er neue Wünsche und war gedrängt von dem Verlangen, das die Schwäche seiner Geliebten noch heftiger erwachen ließ. Er betrachtete sie mit glühenden Blicken, die den wonnigen Rausch seines Herzens wiederstrahlten. Zeinis wurde von den glühenden Blicken Pheleas betäubt, sie verhüllte seufzend ihren Busen.«

»Was! Du fliehst meine Blicke?« sagte er zu ihr. »Ach! wende lieber Deine schönen Augen zu mir. Oh, komm und lese darin[498] die unaussprechliche Liebe, welche Du mir einflößest.«

Hierauf umschlang er sie wieder mit seinen Armen. Zeinis bemühte sich nochmals, sich seiner Heftigkeit zu entziehen; aber mag sein, dass sie nun nicht mehr lange widerstehen wollte, oder dass sie selbst von einer[499] Täuschung befangen war, und nachgebend zu widerstehen glaubte, Pheleas wurde bald darauf so unendlich zärtlich angesehen, als er es nur verlangen konnte.

Da die letzten Gunstbezeugungen der Zeinis sie in eine zärtlich schmachtende, von jener, in welche meine Leidenschaft im Traume sie versetzt hatte, wenig verschiedene Stimmung brachten, so sah sie nun Pheleas mit der ganzen Wollust an, die er von ihr verlangte.

Gleich darauf bereute sie es aber doch, sich so willig seiner maßlosen Liebe ausgesetzt zu haben, und bemühte sie sich seinen Armen zu entziehen.

»Ach, Zeinis,« sagte er zu ihr »in. Deinem Traume, von dem Du mir erzähltest, scheutest Du Dich gewiss nicht so sehr, mich glücklich zu machen.«

»Leider!« antwortete sie, »wie innig meine Liebe zu Dir auch sein mag, ohne den Traum, ohne den Aufruhr, in den er meine Sinne versetzte, würdest Du davon nicht mehr genossen haben.«

»Denke Dir, o, Herr, wie groß mein. Kummer war, als ich aus ihrem eigenen[500] Munde hörte, dass mein Nebenbuhler nur allein mir sein Glück verdanke,« sagte Amanzei.

»Du könntest mit Deinem Siege nun zufrieden sein,« fuhr Zeinis fort »denn Du darfst ihn nicht, ohne mich zu beleidigen, noch weiter ausdehnen wollen. Ich habe ja mehr gethan, als ich sollte, um Dir meine Zärtlichkeit zu beweisen, aber ...«

»Ach, Zeinis!« unterbrach der unerbittliche Pheleas, »wenn es wahr wäre, dass Du mich liebtest, so würdest Du Dich weniger scheuen, es mir zu gestehen, oder würdest Du es mir wenigstens besser sagen. Statt meine heiße Liebe bloß mit Zaghaftigkeit zu erwidern, würdest Du Dich dann gerne ganz meiner Zärtlichkeit hingeben und dennoch glauben, nicht genug für mich gethan zu haben. – Komm,« fuhr er zärtlich fort, sich mit Lebhaftigkeit an ihrer Seite niederlassend, woran ich beinahe gestorben wäre, wenn eine Seele überhaupt sterblich wäre. »Komm,« rief er, »und vollende Dein Werk, mich glücklich zu machen.«

»Ah, Pheleas!« rief die schüchterne Zeinis[501] mit zitternder Stimme, »denkst Du daran, dass Du mich verlieren kannst? Achtet man auf diese Weise das, was man liebt?«

Zeinis Thränen, ihre Bitten, ihre Befehle, ihre Drohungen, nichts vermochte es mehr den liebesglühenden Pheleas zurückzuhalten. Obzwar die Tunika vom Gaze, welche allein zwischen ihm und ihr war, ihm bereits mehr als genug ihre Reize enthüllte, da seine Heftigkeit sie schon mehrmals in dieselbe Lagen brachte, die sie während Zeinis Traume gehabt hatte, so war er doch noch nicht so befriedigt von dem Anblick dieser Reize, als er von dem heftigen Verlangen durchglüht war, noch alle jenen Schönheiten zu sehen, welche ihm die neidische Tunika noch verbarg; er zerriß schließlich voll Ungeduld diesen zarten Schleier der Keuschheit, welchen Zeinis nur noch mehr schwach vertheidigte. Mit Ungestüm stürzte er dann auf jene Reize los, welche seine Dreistigkeit unverhüllt seinen Blicken errungen, er überwältigte Zeinis mit so lebhaften und inbrünstigen Liebkosungen, dass ihr bloß nur mehr die Kraft zu seufzen übrig blieb.[502]

Die Scham kämpfte zwar noch mit der Liebe in Zeinis Herzen und Augen. Die eine verweigerte dem Geliebten. Alles, die andere ließ ihm fast nichts mehr zu wünschen übrig. Sie wagte es nicht, ihre Blicke auf Pheleas zu heften, und erwiderte bloß mit inniger Zärtlichkeit alle seine Liebesbeweise. Sie verweigerte ihm eine Sache, um gleich darauf eine gefährlichere zu gestatten; sie wollte, und wollte nicht; sie verhüllte einen ihrer Reize, um den andern zu entblößen; sie stieß ihn mit Entsetzen von sich und schmiegte sich mit Entzücken an ihn.

Das Vorurtheil siegte noch manchmal über die Liebe und ward ihr im nächsten Moment wieder geopfert, aber mit so fiel Zurückhaltung und Vorsicht, die so überwunden, als sie auch erschienen, von der Liebe doch besiegt wurden. Zeinis schämte sich abwechselnd bald über ihre Nachgiebigkeit bald über ihr vergebenes Widerstreben; die Angst, Pheleas zu missfallen, ihn zu verscheuchen, die Aufregung, in die sie seine leidenschaftlichen Liebkosungen versetzten, und die Erschöpfung, in welche sie nach so langem[503] Ringen verfiel, zwangen sie schließlich sich zu ergeben.

Sie selbst war ja auch jenen Wünschen, die sie ihm einflößte, ausgesetzt, sie ertrug daher nur mit Ungeduld die Freuden, welche sie aufregten, ohne sie zu befriedigen; sie fühlte die Wollust, die er ihr andeutete und nicht zu gewähren wagte.

Ich war vor Zorn außer mir über das Schauspiel, das sich meinen Augen darbot, denn ich begann nach gewissen Äußerungen des Pheleas, die mir seine Unerfahrenheit[504] bewiesen, zu befürchten, dass er dazu geeignet war, meine Seele von einem Orte zu verjagen, wo ich trotz meiner Leiden die er mir bereitete, so gerne verweilte; ich wollte mich sogar auf einige Momente aus Zeinis Sopha entfernen und den strenger Verfügungen Bramas zu spotten suchen.

Aber meine Bemühungen waren vergebens, denn dieselbe Macht, die mich darin gefesselt hielt, widersetzte sich meiner Anstrengung und zwang mich unbarmherzig in trostloser Verzweiflung die Entscheidung meines Schicksals zu erwarten.

»Pheleas ...«

Oh schauderhafte Erinnerung! qualvoller Moment, dessen Vorstellung niemals in meiner Seele erblassen wird. Pheleas, der von Liebe berauscht war, und durch die hingebende Gefälligkeit Zeinis nun Herr aller jener göttlichen Reize war, die ich selbst so heiß begehrte und anbetete, bereitete sich dazu vor, sein Glück zu krönen und zu vollenden.

Zeinis ergab sich nun wollüstig allen Liebkosungen des Pheleas und wenn auch neue Hindernisse seine Glückseligkeit noch[505] verzögerten, so verminderten sie dieselbe um nichts mehr.

Zeinis herrliche Augen vergossen Thränen, ihr süßer Mund wollte einige sanften Klagen flüstern, doch in diesem Augenblick höchster Seligkeit ließ sie ihre Zärtlichkeit nicht mehr Seufzer ausstoßen.

»Pheleas, der glückliche Urheber so vieler Leiden, war deshalb nicht mehr verabscheut, und Zeinis, über die sich Pheleas so sehr beklagt hatte, war nun nicht minder zärtlich geliebt. Endlich verkündigte mir ein durchdringender Schrei, den sie ausstieß, und die lebhafte Siegesfreude, die ich in Pheleas Augen aufleuchten sah, mein Unglück und meine Befreiung. Meine Seele musste dann, von unglücklicher Liebe und Schmerz erfüllt, von diesem Orte entfliehen, um murrend die Befehle Bramas und neue Fesseln zu empfangen.«

»Was! ist denn das Alles?« fragte hierauf der Sultan, »dann warst Du entweder bloß sehr kurze Zeit Sopha, oder Du hast während der Zeit, was Du es gewesen bist, nur sehr wenig gesehen.«

»Ich fürchtete Euer Majestät zu langweilen,[506] wenn ich alles erzählt haben würde, wovon ich während meines Aufenthaltes in verschiedenen Sophas Zeuge gewesen bin,« antwortete Amanzei, »und ich hätte es nicht gewagt, Ihnen alle Ereignisse, deren Zeuge ich gewesen bin, zu schildern; ich wählte deshalb bloß jene, von denen ich annahm, dass sie Euer Majestät unterhalten könnten.«

»Wenn die Ereignisse, die Sie uns geschildert, interessanter als jene waren, die Sie verschwigen haben,« sagte die Sultanin »so glaube ich (obzwar es mir unmöglich ist, hierin einen Vergleich zu machen), dass man Ihren Erzählungen immer ausstellen kann, nur einige eigenthümliche Charaktere auf die Scene gebracht zu haben, während doch allerlei in Ihren Händen waren, und dass Sie absichtlich einen reichen Stoff zusammengedrängt haben, der in sich sehr weitläufig ist.«

»Ich habe ganz ohne Zweifel Unrecht gethan, Madame,« antwortete Amanzei »wenn alle geschilderten Charaktere angenehm waren, oder wenn sie dasselbe Gepräge trugen, da ich es doch nicht vermochte, sie alle so treu zu schildern, ohne in eine gewiße[507] Unanständigkeit zu verfallen, oder vor Ihren Augen abgedroschene Scene zu entrollen.«

»In der That,« sagte der Sultan, »wenn man diese Umstände genau erwägt, so könnte man schließlich doch daran glauben, dass er Recht habe; aber was mich betrifft, mir ist es lieber, dass er Unrecht habe, damit ich der großen Mühe enthoben bin, zu untersuchen, was an dem Streite wahr ist. Ach! meine theure Großmutter, so schön, wie Du erzähltest, war es nicht!«[508]

Quelle:
Crébillon Fils: Sopha. Prag [1901], S. 465-509.
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