Die Schlacht von Sedan

[579] (Dem deutschen Heere zu eigen).


Endlich erreich' ich dich,

Endlich ergreifst du mich,

Lange gesuchte,

Wochenlang durch die Nächte ersehnte,

Dröhnende, heilige,

Männermordende Feldschlacht.


Hoch in den Lüften

Die weißlichen Wölklein, –

Nicht sind's des Septembers

Nebelgespinste: –

Siehe, sie bersten:[579]

Das sind des Feindes

Todesgeschosse!

Und das Getöse: –

Nicht von Gewittern: –

Hell ist der Himmel:

Das ist der Donner,

Der herrliche Schlachtruf

Der deutschen Geschütze.


Erjauchze, mein Herz, nun:

Dein Sehnen von Kind auf,

Dein Wunsch in den heißen

Schmerzen des Mannes, –

Alles erfüllt sich:

Denn es umtoset dich

Schrecklich und herrlich,

Vom Heer Alldeutschlands

Sieghaft geschlagen,

Die heilige Schlacht!


Auf und hinein!


Dort, von den Höh'n des

Ragenden Hügels,

Muß sich das ganze

Kampfesgefild den

Blicken erschließen. –

O Deutschland!

Welch' Schauspiel!

Rings mir zu Füßen,

Zur Rechten, zur Linken,

Da wallet und woget

In schimmernden Scharen

Ringend die Streitmacht

Deutschlands und Frankreichs!
[580]

Vor mir im Talgrund

Windet der Fluß sich,

Die Maas, durch die Nied'rung:

Dort an den Ufern,

In glitzernden Gliedern,

Das sind Franzosen:

Fußvolk und Reiter

Und brüllend Geschütz.


Und aus der Mitte

Hebt sich die Feste,

Mit Toren und Türmen,

Mit Zinnen und Zacken

Stachlig zu schauen:

Ein feuerspeiender,

Kauernder Wurm.


Aber umher auf

Waldigen Höhen

Rings in dem Halbkreis

Von Süden, von Osten

Und fern her von Westen

Die dunkelnden Massen: –

Das sind die Unsern,

Das sind die Deutschen!

Siehe, sie stoßen

Herab von den Höhen,

Gleichwie ein Adler

Mit rauschenden, schwarzen

Schwingen und Fängen

Zu würgen im Tale

Den gleißenden Wurm.


Da, hart mir zur Rechten,

Auf rasselnden Rädern[581]

Rollt's an den Höh'nrand:

»Halt! Halt, Batterie!«

Das sind meine Bayern:

Den Führer erkenn' ich:

Oft sah ich sie ziehen

Durchs friedliche Maintal:

Jetzt find' ich sie wieder

In tosender Schlacht.


»Zielt dort auf das Dorf mir,

Dort, dicht vor der Festung:

Da seht ihr in Masse

Geschart die Franzosen:

Dort droh'n sie den Durchbruch:

Doch sie dürfen nicht durch!«


Und neben mir Blitz und

Knall aus dem Rohre:

Wie gellt mir das Ohr!

»Seht nur, wir müssen sie

Mächtig erzürnen:

Sie richten auf uns nun

Ergrimmt die Geschütze:

Recht so! Da werden

Dort unten die Unsern,

Die wackeren Jäger,

Links von der Straße

Granatenfrei.«


Horch, da erzischt es

Sausend und schwirrend

Hoch mir zu Häupten:

Aber unschädlich

Zerschellt das Geschoß,

Dort nur die Spitze[582]

Der Tanne zerspellend.

Horch, wieder! Und wieder!

Das fehlte nur wenig:

Deutlich den Windstoß

Fühlt' ich der sausenden

Schwirregewalt:

Sei mir gesegnet

Ob meinem Haupte,

Weihender, heilender,

Heiliger Hauch! –


Da rechts in der Ferne,

Da flammt's aus dem Flecken

Flackernd empor:

Rauch, Feuer und Lohe

Und glühender Qualm:

»Da brennet Bazeilles!

Da brennet auch Balan!

Dort fechten die Unsern

Schwerringend seit Stunden,

Bergbayern zumal.«


Horch auf, was da knarret

Und schnarret und rasselt!

Das sind nicht Gewehre!

Nie hört' ich's zuvor!


»Mitrailleusen sind's,

Wohl viele Batt'rien.

Nun, endet das nicht?«

Drei lange Minuten!

Der Braven gedenkend,

Erbleicht' ich mit Frösteln:

Es erlag wohl da unten

Der Mordmaschine[583]

Manch freudiger Schütze,

Dem einst auf dem Bergpfad

Im heimischen Chiemgau

Die Hand ich gedrückt.


Doch herab jetzt vom Hügel:

Denn links nun entlodert

Noch wilder und wüt'ger

Die wogende Schlacht.


Sieh, verstört aus der Stille

Der friedlichen Dörfer

Weißer Tauben

Verschüchterte Schwärme!

Sieh, wie sie ratlos

Flattern und flüchten

Von links nach rechts

Weit über das Tal hin

Hoch durch den Himmel!


Dort, jenseit des Flusses,

An steilem Gelände

Aufsteigen drei Dörfer

Mit steinernen Mauern:

Ige und Illy

Und das bergige Floing:

Da wimmelt und wogt es

Von roten Hosen;

Sie schützen, noch uner-

Schüttert, die rechte,

Die westliche Flanke:

Sie halten die Höh'n

Und die Häuser und Höfe:

Sie liegen in Gärten

Und Gräben gedeckt.[584]

Da sammelt sich unten

Am Fuße des Bergs

Beim Schlage der Trommel

Die schwärzliche Schar:

Siehst du die Fahne

Schwarzweiß flattern?

Das sind die Preußen!


Sie trommeln zum Sturm!

Wie? Empor diesen Berghang?

Den steinigen, steilen?

Den nackten, den kahlen?

Kein Baum, kein Busch!

Entgegen dem tausend-

Schlündigen Tode?

Mir gerinnet vor Grauen

In den Adern das Blut!


Sie stürmen, bei Gott!

G'radauf! G'radan!

Entsetzen! Wie rollt das

In Knattern und Rasseln!

Rings Feuer und Blitze

Und Pulverdampf.

Gott, wie bang, wie lang!

Da verzieht sich der Rauch:

O Jammer und Wehe!

Wie besät liegt der Berg nun,

Der nackt war und leer war,

Mit schwarzen Gestalten:

Das sind die Gefall'nen,

Die tapferen Stürmer!

Wie viele! O wehe![585]

Ich seh' sie sich winden

In zuckender Qual.


Und die Fahne? – Zurück?

O wehe, sie weichen

Den Hügel herunter!

Gescheitert der Sturm!

Und sieh, – o Verderben! –

Aus Häusern und Höfen,

Aus Gräben und Gärten

Brechen verfolgend,

Nacheilend, nachschießend,

Die Halde herab

Die Feinde hervor:

In wenig Sekunden

Können sie hier stehn

Und durchbrochen wäre

Das deutsche Heer! – – –

Und zum erstenmal mir

Kam der Gedanke:

Wenn heute der Sieg uns

Urplötzlich versagte?

Dann – – doch nein! O Triumph! Sieh

Wie hurtig sie hasten,

Wie rasch sie da rennen,

Die roten Hosen,

Zurück und den Hügel

Wieder hinan!

Sie lösen die Glieder!

Sie werfen die Waffen

Weit hinweg:

Umgangen, gefangen!

Denn von links aus dem Walde[586]

Mit hellem Hurra,

Mit mächtigem Marsch! Marsch!

Mit fliegenden Fahnen

Da brechen in Scharen

Die Preußen hervor!

Sieg! Heil euch, ihr Helden!

Durch Ige und durch Illy

In das flammende Floing!

Schon halten sie hoch

Auf dem Kamme des Hügels,

Schon drohn sie Geschütze

Zu fassen und Fußvolk,

Gespann und Geschirre,

Bevor sie entrinnen – –!


Kein Ende! Welch' neues,

Gewaltiges Schauspiel!


Lange gezogener

Reiterfanfaren

Freudiger Ruf

Erklinget von fern:


Und herab dort vom Hügel

Und aufwärts den zweiten,

Wo halten die Unsern,

– Welch' rasend Beginnen! –

Jagen, den Rückzug

Der Ihren zu retten,

Französische Reiter-

Geschwader heran!

Treffliche, tapfre

Rühmliche Reiter!

Hei, glitzernder Küraß!

Hei, ragende Lanzen[587]

Und bunte Husaren

Und Jäger zu Pferd,

Wohl fünf Regimenter.

Kaum seh' ich die Preußen

Im Pulverdampf.


Doch horch! welche Stille!

Auf wenige Schritte noch

Lassen sie rasen

Die Reiter heran: – –

Da, Salve nach Salve!

Salve nach Salve!

Und niedergeschmettert,

Wie Ähren vom Hagel,

Wie Garben vom Schnitter,

Bevor Bajonett sich

Und Säbel gekreuzt,

Stürzen sie nieder,

Die Reiter, die Rosse,

In Scharen, in Reihen,

Dicht, wie sie geritten,

Und abwärts den Hügel

Zurück mit Entsetzen

Jagt, was sich gerettet

Von fünf Regimentern!


Sie fielen für Frankreich!

Doch Heil euch, ihr Helden!

Euer soll ehrend

Deutschland gedenken!


Und nun unaufhaltsam

Wogt das Gewirre

Von Geschützen und Fußvolk,[588]

Dahinter die Reiter,

Den rettenden Toren

Der Festung zu.


Nicht lange mehr rettend!

Denn schon aus den Dächern

Bricht flackernder Brand,

Und in den Straßen

Des Städtleins staut sich

Chaotisch' Gedräng,

Und die deutschen Granaten

Schlagen hinein.


Und fern auf den Hügeln

Im Norden auch endlich

Fahren, wo lang

Mitrailleusen geknarret,

Deutsche Geschütze

Donnernd nun auf:

Dort, wo die Wälder

Belgiens dunkeln,

Reichen sich Preußen,

Reichen sich Sachsen,

Allumklafternd

Den Feind, die Hände:

Dort bei Givonne

Schließt sich der Ring:

Siehe, da stürzen

Die letzten Franzosen

Verzweifelnd ins Tal sich,

Verfolgt von dem Sturmschritt

Der preußischen Garde!


Jetzt ununterbrochen

Rollet der Donner[589]

Von tausend Kanonen

Aus allen Wäldern,

Von Hügeln und Höhn:

Auf allen Seiten

Des Tales zugleich

Blitzt es und kracht es

Und dröhnet und schlägt:

Wie wenn sich im felsigen

Kessel des Hochlands

Zwei Wetter verfingen

Und unaufhörlich

Gegeneinander

Rollen und grollen

Und Felsen und Berge

Hallen es nach: –

So donnert und dröhnt es

Von allen Seiten:

Es bebet die Erde,

Es zittert die Luft:

So ward er geschmiedet

Mit Blitz und mit Donner,

Der Schicksalsring.


Es neigt sich die Sonne.

Ich suche die Freunde.

Dort, hoch auf dem Hügel,

Der auf Frênois schaut,

Da halten versammelt

Viel Führer und Fürsten: –

Auf scharrendem Rappen

Ein hoher Greis: –

Er lüftet den Helm: –

Das ist der Preußen

Ehrwürdiger König.
[590]

Aber mir war, als

Säh' ich, geformt aus

Den goldenen Strahlen

Der sinkenden Sonne,

Ob seinem Haupte

Schimmernd schweben

Hochgewölbt

Eine Kaiserkrone. –


Und als am Abend

Wir die Gespanne

Der Wagen entschirrten,

Dort auf des Städtleins

Donchéry Markt,

Fragte wohl sorgend

Einer den andern:

»Heute geschlagen

Zwar ist der Feind:

Aber ob morgen

Nicht sich erneut das

Verzweifelte Ringen?

Ob nicht der Kaiser,

Ob nicht sein Marschall

Morgen von Metz her

Zum Entsatze der Seinen

Rächend heranrückt?

Denn, wo sie weilen,

Kaiser und Marschall,

Keiner ja weiß es.«


Horch, da erschallt von

Der Brücke der Maas her

Freudiges Rufen:

Und auf den Marktplatz,

Wo sich der Deutschen[591]

Wohl Tausende drängen,

Sprenget ein Reiter,

Ein roter Husar:

Hält in der Linken

Zügel und Mütze,

Schwingt in der Rechten

Ein beschriebenes Blatt,

Moltkes, des Feldherrn,

Tagesbefehl:

»Hurra, Kameraden,

Stimmt ein,« rief der Reiter:

»Gefangen der Kaiser,

Mac Mahon, der Marschall,

Gefangen das ganze

Französische Heer!«


Da stieg in die Lüfte

Ein Jubeln, ein Jauchzen,

Wie ich es nimmer

Gehört noch geahnt:

Mancher umarmte

Mit Tränen den Nächsten.

Ich aber drückte,

Schweigend und schauernd,

Fest auf das pochende

Herz die Hand mir

Und ich dachte:

»Nun magst getrosten

Mutes du sterben,

Da du geschaut hast

Diesen Schlachttag,

Da du erlebt hast

Diese Stunde.

Heil, mein Deutschland.«

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 579-592.
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