Sir Patrick Spens

[301] Der König sitzt in Dumferlin-Schloß,

Er trinkt blutroten Wein:

»Wer ist mein bester Segler?

Er muß in See hinein!«


Sprach da ein schottischer Ritter

(Er stand an des Königs Seit'):

»Der beste, das ist Sir Patrick

Im Lande weit und breit.«


Der König schrieb einen offenen Brief,

Einen Brief mit eigner Hand –

Sir Patrick schritt am Meere

Hin über den knirschenden Sand.


Er sah auf die erste Zeile

Und lachte, als er sie sah,

Er las die zweite Zeile,

Nicht weiter las er da.


Sein Auge stund in Tränen:

»Wem tat ich also weh,

Zu schicken in dieser Sturmzeit

Mich über die weiße See?[301]


Zu Schiff nun, liebe Mannen,

Wir segeln vor Tagesschein!«

Da sprach ein alter Matrose:

»Sir Patrick, das kann nicht sein.


Ich hört' in meiner Koje

Die Windsbraut, wie sie gelacht,

Und der neue Mond hielt den alten

Im Arme die letzte Nacht.«


Es kam der nächste Morgen,

Sie gingen all an Bord,

Sir Patrick und die Seinen

Und mancher schottische Lord.


Im Winde flaggten die Wimpel,

Hoch tanzten Schiff und Flut-

Drei Tage, da schwamm auf dem Meere

Nur noch ein bebänderter Hut.


Nun sitzen viel schöne Frauen

Mit ihren Fächern am Strand

Und warten auf Sir Patrick,

Und daß er steig' an Land.


Alle tragen sie Kämme mit Goldschmuck

Und blicken hinaus aufs Meer,

Doch sie erharren keinen

Und sehen keinen mehr.


Fünfzig Faden tief und tiefer,

Da pflegen sie all der Ruh:

Sir Patrick und die Seinen

Und die schottischen Lords dazu.[302]


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 301-303.
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