O Herrscher in dem Himmelszelt

[122] »Buß- und Betgesang bei unzeitiger Nässe und betrübtem Gewitter«


1.

O Herrscher in dem Himmelszelt,

Was ist es doch, das unser Feld

Und was es uns hervorgebracht,

So ungestalt und traurig macht?


2.

Nichts anders, traun, als daß die Schar

Der Menschen sich so ganz und gar

Bis in den tiefsten Grund verkehrt

Und täglich ihre Schuld vermehrt.


3.

Die, so, als Gottes Eigentum,

Stets preisen sollten Gottes Ruhm

Und lieben seines Wortes Kraft,

Sind gleich der blinden Heidenschaft.


4.

Drum wird uns auch der Himmel blind,

Des Firmamentes Glanz verschwind't,

Wir warten, wann der Tag anbricht,

Aufs Tageslicht und kommt doch nicht.


5.

Man zankt noch immer fort und fort,

Es bleibet Krieg an allem Ort,

In allen Winkeln Haß und Neid,

In allen Ständen Streitigkeit.
[122]

6.

Drum strecken auch all Element

Hier wider uns aus ihre Händ,

Angst kommt uns aus der Tief und See

Angst kommt uns aus der Luft und Höh.


7.

Es ist ein hochbetrübte Zeit;

Man plagt und jagt die armen Leut,

Eh als es Zeit, zur Grube zu

Und gönnet ihnen keine Ruh.


8.

Drum trauert auch der Freudenquell,

Die Sonn, und scheint uns nicht so hell;

Die Wolken gießen allzumal

Die Tränen ohne Maß und Zahl.


9.

Ach, wein auch du, o Menschenkind,

Und traure über deine Sünd;

Halt doch von deinen Lastern ein

Und mache dich durch Buße rein.


10.

Fall auf die Knie, fall in die Arm

Des Herrn, daß sich sein Herz erbarm

Und der so wohl verdienten Rach

In Gnaden bald ein Ende mach!


11.

Er ist ja fromm und bleibet fromm,

Begehrt nichts mehr, als daß man komm

Und mit geneigter Furcht und Scheu

Ihn bitt um Gnad und Vatertreu.


12.

Ach Vater, Vater, höre doch

Und lös uns aus dem Sündenjoch

Und zeuch uns aus der Welt herfür

Und kehr uns selbsten du zu dir!
[123]

13.

Erweiche unsern harten Mut

Und mach uns Böse fromm und gut;

Wen du bekehrst, der wird bekehrt,

Und wer dich hört, der wird erhört.


14.

Laß deine Augen freundlich sein

Und nimm mit gnädgen Ohren ein

Das Angstgeschrei, das von der Erd

Aus unserm Herzen zu dir fährt.


15.

Reiß weg das schwarze Zorngewand,

Erquicke uns und unser Land

Und der so schönen Früchte Kranz

Mit süßem, warmem Sonnenglanz.


16.

Verleih uns bis in unsern Tod

Alltäglich unser liebes Brot

Und dermaleinst nach dieser Zeit

Das süße Brot der Ewigkeit!

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 122-124.
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