|
[252] 1.
Wie lang, o Herr, wie lange soll
Dein Herze mein vergessen?
Wie lange soll ich Jammers voll
Mein Brot mit Tränen essen?
Wie lange willst du nicht
Mir dein Angesicht
Zu schauen reichen dar?
Willst du denn ganz und gar
Dich nun von mir verbergen?
[252]
2.
Wie lange soll die Trauerhöhl
In Sorgen ich besitzen?
Wie lange soll mein arme Seel
In diesem Bade schwitzen?
Soll ich denn alle Tag
Immer lauter Plag,
Die Welt im Gegenteil
Nur immer lauter Heil
Nach ihrem Wunsche haben?
3.
Ach, schaue doch von deinem Saal
Und siehe, wie ich leide!
Mein Herzensweh und große Qual
Ist meiner Feinde Freude.
Herr, mein getreuer Hort,
Hör an meine Wort,
Die ich, durch Trübsal hier
Gepresset, schütt herfür;
Laß dein Gemüt erweichen!
4.
Erleuchte meiner Augen Licht,
Mit deinem Gnadenwinke,
Damit ich in dem Tode nicht
Enschlafe noch versinke!
Gib, daß die böse Rott
Nicht treib ihren Spott
Aus mir und meinem Fall,
Als hätt ich überall
Verspielet und verloren.
5.
Ich steh und hoffe steif und fest
Darauf, daß du die Deinen
Nicht endlich untergehen läßt.
Kannsts auch nicht böse meinen;
Obs gleich bisweilen scheint,[253]
Als wärst du uns feind
Und gänzlich abgewendt,
So find sich doch behend
Dein Vaterherze wieder.
6.
Mein Herze lacht vor großer Freud,
Wann ich bei mir bedenke,
Wie herzlich gern in böser Zeit
Dein Herz sich zu uns lenke.
Der Herr ist frommes Muts,
Tut uns nichts als Guts.
Das ist mein Lobgesang,
Den ihm zum Ehrendank
Ich hier und dort will singen.
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
|
Buchempfehlung
Dem Mönch Medardus ist ein Elixier des Teufels als Reliquie anvertraut worden. Als er davon trinkt wird aus dem löblichen Mönch ein leidenschaftlicher Abenteurer, der in verzehrendem Begehren sein Gelübde bricht und schließlich einem wahnsinnigen Mönch begegnet, in dem er seinen Doppelgänger erkennt. E.T.A. Hoffmann hat seinen ersten Roman konzeptionell an den Schauerroman »The Monk« von Matthew Lewis angelehnt, erhebt sich aber mit seiner schwarzen Romantik deutlich über die Niederungen reiner Unterhaltungsliteratur.
248 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro