Kölner Dombau

[279] Denkt ihr auf Häuser, eh der Gast noch da?

Die Einheit wohnt in Balken nicht und Steinen,

Sie lebt im Fühlen, das dem Herzen nah,

Und was sich liebt, wird sich von selbst vereinen.


Mit eurer Schriften hochhinwehndem Wind

Bewegt die Oberfläche höchstens der Verfasser,

Die Fische bleiben lautlos, wie sie sind,

Und schwimmen unberührt im tiefern Wasser.


Kehrt euch ans Volk mit Taten, nicht mit Witz,

Gebt ihnen erst, was sie verteidgen sollen,

Den Namen Deutscher, macht ihn zum Besitz,

Dann müssen sie nicht können, ob auch wollen,


Macht, daß Verlust des Rechts, das Thronen baut,

Zugleich Verlust sei jedes einzeln eignen,

Dann wie an Franken ihrs und Briten schaut,

Wird vaterländscher Sinn sich nie verleugnen.


Schon früh, auf daß sich Einheit nie verliert,

Erbauten sie den Riesenturm zu Babel,

Doch ward das Wort, wie längst der Sinn, verwirrt,

Und Turm und Widmung kennt nur noch die Fabel.

Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 279.
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