Elegie auf ein Landmädchen

[154] Schwermuthsvoll und dumpfig halt Geläute

Vom bemooßten Kirchenthurm herab;

Väter weinen, Kinder, Mütter, Bräute;

Und der Todtengräber gräbt ein Grab.

Angethan mit einem Sterbekleide,

Eine Blumenkron' im blonden Haar,

Schlummert Rößchen, so der Mutter Freude,

So der Stolz des Dorfes war.


Ihre Lieben, voll des Mißgeschickes,

Denken nicht an Pfänderspiel und Tanz,

Stehn am Sarge, winden, naßes Blickes,

Ihrer Freundin einen Todtenkranz.

Ach, kein Mädchen war der Thränen werther,

Als du gutes, frommes Mädchen bist,

Und im Himmel ist kein Geist verklärter,

Als die Seele Rößchens ist.


Wie ein Engel, stand, im Schäferkleide,

Sie vor ihrer kleinen Hüttenthür.

Wiesenblumen waren ihr Geschmeide,

Und ein Veilchen ihres Busens Zier.

Ihre Fächer waren Zephyrs Flügel,

Und der Morgenhayn ihr Putzgemach,

Diese Silberquellen ihre Spiegel,

Ihre Schminke dieser Bach.
[154]

Sittsamkeit umfloß, wie Mondenschimmer,

Ihre Rosenwangen, ihren Blick,

Nimmer wich der Seraph, Unschuld, nimmer,

Von der holden Schäferin zurück.

Jünglingsblicke taumelten, voll Feuer,

Nach dem Reiz des lieben Mädchens hin,

Aber keiner, als ihr Vielgetreuer,

Rührte jemahls ihren Sinn.


Keiner als ihr Willhelm! Frühlingsweihe

Rief die Edeln in den Buchenhayn,

Angeblinkt von Mayenhimmelbläue,

Flogen sie den deutschen Ringelreihn.

Rößchen gab ihm Bänder, mancher Farbe,

Kam die Erndt', an seinen Schnitterhut,

Saß mit ihm auf einer Weitzengarbe,

Lächelt' ihm zur Arbeit Muth.


Band den Weitzen, welchen Willhelm mähte,

Band, und äugelt' ihrem Liebling nach,

Bis die Kühlung kam, und Abendröthe

Durch die falben Westgewölke brach.

Über alles war ihm Rößchen theuer,

War sein Taggedanke, war sein Traum.

Wie sich Rößchen liebten und ihr Treuer,

Lieben sich die Engel kaum.


Willhelm, Willhelm! Sterbeglocken hallen,

Und die Grabgesänge heben an,

Schwarzbeflorte Trauerleute wallen,

Und die Todtenkrone weht voran.[155]

Willhelm wankt, mit seinem Liederbuche,

Naßen Auges, an das ofne Grab,

Trocknet, mit dem weißen Leichentuche,

Sich die hellen Thränen ab.


Schlummre sanft, du gute, fromme Seele,

Bis auf ewig dieser Schlummer flieht.

Wein' auf ihrem Hügel, Philomele,

Um die Dämmerung, ein Sterbelied.

Weht, wie Harfenlispel, Abendwinde,

Durch die Blumen, die ihr Grab gebar,

Und im Wipfel dieser Kirchhoflinde

Nist' ein Turteltaubenpaar.
[156]

Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 154-157.
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