Die Odaliske

[187] Es harrt auf weichem Purpursammt

Die jüngste Sclavin ihres Herrn,

Und unter dunkler Braue flammt

Ihr Auge, wie ein irrer Stern.


Sei stammt aus jenem Lande nicht,

Wo ehrbar-blond der Weizen reift,

Und stachligt-keuch die Gerste sticht,

Wenn man sie noch so leise streift.[187]


Sie ist der Feuerzone Kind,

Wo jede Frucht von selber fällt,

Weil sie der Baum, der zu geschwind

Die zweite zeitigt, gar nicht hält.


Sie hat von dem Johannisstrauch

Die karge Beere nie gepflückt,

Die, ohne Kraft und ohne Hauch,

Zur Abwehr gar den Dorn noch zückt.


Doch ward sie oft vom Wein bespritzt,

Weil himmelan die Rebe drang

Und dann, vom Sonnenstral zerschlitzt,

Die Traube in der Luft zersprang.


Drum sitzt sie auch nicht seufzend da,

Nun ihre eig'ne Stunde naht,

Sie denkt der Rosen, fern und nah',

Die sie schon selbst gebrochen hat.


Und sieh, der Pascha tritt herein,

Zwar ernst und düster, doch nicht alt,

Und vor ihm her den Becher Wein

Trägt eines Mohren Nachtgestalt.


Er sieht das Mägdlein lange an,

Mißt Zug für Zug, und nickt nur still,

Zum goldnen Becher greift er dann

Und fragt, ob sie nicht trinken will.


Ihr aber schwillt schon jetzt das Blut

Bis an der Adern letzten Rand,

Drum fürchtet sie des Weines Glut,

Und stößt ihn weg mit ihrer Hand.


Nun weis't er stumm den Mohren fort,

Dem wild das Auge glüht vor Lust,[188]

Und setzt sich an den weichsten Ort

Und küßt ihr langsam Mund und Brust.


Doch plötzlich dringt ein jäher Schrei

Von außen ihr in's bange Ohr;

Sie ruft verstört, was das denn sei?

Und er versetzt: es starb der Mohr!


Er trank den Wein, den ich dir bot,

Und wird der Sünde nimmer froh,

Denn beigemischt war ihm der Tod! –

Ich prüfe jede Sclavin so!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke. 1. Abteilung: Werke, Berlin [1911 ff], S. 187-189.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe letzter Hand)
Gedichte
Werke, 5 Bde., Bd.3, Gedichte, Erzählungen, Schriften
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)
Gedichte
Gedichte

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon