Die Schwestern des Schicksals

[48] Nenne nicht das Schicksal grausam,

Nenne seinen Schluß nicht Neid!

Sein Gesetz ist ew'ge Wahrheit,

Seine Güte Götterklarheit,

Seine Macht Notwendigkeit.


Blick umher, o Freund, und siehe

Sorgsam, wie der Weise sieht!

Was vergehen muß, vergehet;

Was bestehen kann, bestehet;

Was geschehen will, geschieht.


Heiter sind des Schicksals Schwestern,

Keine blassen Furien;

Durch der Sanftverschlungnen Hände

Webt ein Faden sonder Ende

Sich zum Schmuck der Grazien.


Denn seit aus des Vaters Haupte

Pallas jugendlich entsprang,

Wirket sie den goldnen Schleier,

Der mit aller Sterne Feier

Droben glänzt äonenlang.


Und an ihrem Meisterwerke

Hanget stets der Parzen Blick.

Weisheit, Macht und Güte weben[48]

In des Wurms und Engels Leben

Wahrheit, Harmonie und Glück.


Nenne nicht das Schicksal grausam,

Nenne seinen Schluß nicht Neid!

Sein Gesetz ist ew'ge Wahrheit,

Seine Güte Götterklarheit,

Seine Macht Nothwendigkeit.


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 48-49.
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