Dem Andenken König Maximilians II. von Bayern

[488] O daß der Wert der höchsten Lebensgüter

Erst im Verluste reift, daß wir, vom Trug

Des Augenblicks umspielt, sorglose Hüter

Des Ew'gen sind, und dünken uns so klug!

Ein echter Mensch, der innige Gemüter

Zur Liebe zwingt, wer dankt ihm je genug?

Er geht dahin – nun ist sein Bild vollendet

Und wirket fort, wo andrer Wirken endet.


Wohl, dies ist Menschenlos! Und dieses Los

War dein, o Fürst, der du ein Mensch gewesen,

In deiner Krone Glanz so schimmerlos,

Daß manche wohl verkannt dein hohes Wesen.

Doch der begriff dein Wollen, rein und groß,

Dem je vergönnt war, dein Gemüt zu lesen

In jenem Auge, das so sinnend glühte

Von Adel, Mut, Gewissensernst und Güte.


Du lebtest nicht dir selbst. Dein Sinn und Denken

War deinen Pflichten rastlos zugekehrt.

Du dachtest stolz vom Amt, ein Volk zu lenken,

Bescheiden von der Kraft, die dir beschert.

Nichts sollte dir den freien Blick beschränken,

Denn wer die Wahrheit sucht, ist ihrer wert;

Heraufzuführen ihren lichten Morgen,

Die Blüte war's all deiner Fürstensorgen.


So, statt in weicher Ruhe dich zu wiegen,

Hast du den Kampf der Geister selbst entfacht.

Nie zweifelnd an des Lichtes schönen Siegen,

Ein Wecker standet du auf hoher Wacht.[488]

Du sahst die Gipfel rings im Glanze liegen,

Unwillig aus der Tiefe wich die Nacht;

Dein Lohn, hoch überm Lohn der Welt erhaben,

War, an der Strahlen Wachstum dich zu laben.


Dann liebtest du's, nach ernster Tagestat

Im Hain der Musen deine Stirn zu kühlen,

In ihrer heil'gen Quellen tiefes Bad

Eintauchend deine Sorgen abzuspülen.

Ein Reigen hoher Abgeschiedner trat

Still vor dich hin, mit ewigen Gefühlen

Die Brust dir stärkend, und des Zwangs entbunden

Floß das Gespräch in jenen reichen Stunden;


Dem Jüngsten selbst. Als deine Huld ihn rief,

Den Namenlosen, der die ersten Flüge

Mit schwankem Fittich kaum getan, wie tief

Empfand er seiner Jugend Ungenüge!

Er wußte nur, daß etwas in ihm schlief,

Das er erwachend dir entgegentrüge,

Und frohgewillt, zu leben und zu lernen,

Folgt' er vertrauend dir und seinen Sternen.


Du gönntest ihm von allen seltnen Gaben

Die seltenste, die je ein Fürst verliehn:

Freiheit, nach eignem Trieb sich Bahn zu graben,

Und wie er sich dir gab, so nahmst du ihn.

Nicht wolltest du den Ruhm des Kenners haben,

Den Schaffenden nach deinem Wink erziehn;

Du ehrtest stets und ließest frei gewähren

Den graden Wuchs in eignen Charakteren.


Der Dichter, dessen Lied die Welt zu spiegeln

Sich unterfängt, soll erst die Welt erkennen,

Und wie er Menschenrätsel lernt entsiegeln

In Hütten, wo die dürft'gen Feuer brennen,

So mögen sich die Pforten ihm entriegeln,

Die von dem Sitz der Macht die Menge trennen.

Erst wenn er Höhn und Tiefen maß der Erden,

Lernt er die schwerste Pflicht: gerecht zu werden.
[489]

Und so genoß ich deiner edlen Milde

Sorglosen Herzens manch ein Jugendjahr,

Still hoffend, einst durch dauernde Gebilde

Zu zeugen, daß sie nicht vergeudet war.

Nun hast du dich vom irdischen Gefilde

Hinweggewandt zu sel'ger Geister Schar

Und ließest mich in meines Strebens Mitte,

Daß ich den Schmerz versäumten Danks erlitte.


Was gälte dir mein Dank? Verklärte fragen

Nach Zeichen nichts, erlöst von allem Schein.

Mich aber drängt's, den Lebenden zu sagen,

Was du mir warst, und dir ein Mal zu weihn.

Mag mir die Zukunft reifre Früchte tragen,

Die Erstlinge von jedem Herbst sind dein,

Wie dieser Kranz, den mit bewegter Seele

Ich deiner Gruft zu schlichtem Schmuck erwähle.

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 488-490.
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