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[108] Geh auf, o Sonn! und öffne mir die weiten

Kristallnen Tore dieser weiten Welt!

Mein Sinn ist auf den goldnen Ruhm gestellt,

Zu ihm sollst du mich unaufhaltsam leiten!
[108]

Nicht kann uns Hebe reinern Trank bereiten,

Der lieblicher uns in die Seele quellt

Und froher als der Ruhm die Adern schwellt

Und sichrer hilft den Abgrund überschreiten!


Der Frauen Gunst vermag er zuzuwenden

Und macht uns leicht dereinst das letzte Scheiden,

Da wir zur Hälfte nur das Dasein enden.


Er läutert besser als die Glut der Leiden:

Wer wird, bekränzt, mit ungewaschnen Händen,

Mit Lorbeer und mit Staub zugleich sich kleiden?


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 108-109.
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