Der 5. (20.) Kühlpsalm

[58] Welchen er sang über das wunderbahre verhängnis Gottes nach seiner Ankunfft in Paris, vornemlich am 28 Tage seines anfangenden 28 Jahres, den 25 Mertz, überflüssig erfahren mit der Regenbogichten Naturlilge des Elias Artisten: zu Paris den 31 Mertz 1678. zwar angefangen, doch erst den 5 Apr. auf der Yonn zwischen Roy and Joigni bei Auxerre fortgesungen, und zu Lisle den 6 Apr. ausgesungen in siben tagen, zur bezeichnis seiner sibenjährigen Verzögerung auch in Brechung seiner Lilien.


1.

Wi wunderlich sind Gotteswege?

Wi unerforschlich ist sein gang?

Drum Seelewig! sei wider rege

Zusingen einen Lobgesang,

Das alles Volk von nah und ferne

Di Gotteswunderführung lerne.


2.

Kein Mensch wird Gottes Rath erfassen,

Noch sein Verhängnis völlig schaun:

Wir müssen uns nur leiten lassen,

Und Gott uns gantz und gar vertraun,

So werden wir höchstscheinlich spüren,

Wi Gott der Herr uns selbst wil führen.


3.

Wann alles schin offt dargebohren,

Verflog offt alles Vogelschnell:

Und wann ich alles gab verlohren,

So sucht es mich auf rechter stell,

Das ich den grössten Nutz gefunden,

So offt mir alles war verschwunden.
[58]

4.

Was hastdu, Gott, mir nun gewehret?

Wi heimlich ward ich durchgebracht?

Zur eusern Lilg, sonst offt begehret,

Gab erst di eusre Lilge macht,

Das, wo ich darf dis Blat abbrechen,

So steh ich ferner ohne schwächen,


5.

Ich bin durch Gott der Seyn entfahren,

Und trete von Yon heut aus.

Wi wunderbar ist dein bewahren?

Du reissest mich im unfall raus.

Ich bleib an allem Ort gesegnet,

Ob Trug an allem Ort begegnet.


6.

Wiwohl ich fremd in fremder Zungen,

Doch gibstdu mir gesellschafft bei:

Durch dich ist täglich mir gelungen;

Durch dich werd ich noch täglich frei,

Das ich erkenn an allen dingen,

Dein unbegreiflich wunderbringen.


7.

Wi David wolt dem Saul entwischen,

Als er empfing selbst schwerd und speis:

So floh ich auch. Di vor mich tischen,

Und täglich sorgen vor di Reis,

Sind Carmels Münch, di gleich abgehen,

Vorm Romes Saul in Rom zustehen.


8.

Mein David ward mit witz beschenket,

Das er sich anders angestellt:

Dis ist, das keiner hir nachdenket,

Was einsten aller Welt erhellt.

Weil si nach Rom mich höhren draben,

So wollen si sich all erlaben.


9.

Als Jehu sagt von Baalesschmükken,

So war er gantz in Gott entbrand:

Ich werde zwar nach Rom abrükken,

Nach Rom im fernem Morgenland,

Das Rom in Rom vermaledeiet

Nach hundert Jahren steh zerstreuet.
[59]

10.

Ich bin umsonst von euch umschlossen,

Weil doch mein geist in Gott entflammt:

Von Jesus kommt mir zugeflossen,

Was stets zur Jesusehre stammt.

Verfluchter Baal, in Rom bethrönet!

Du wirst mit Rom in Rom verhöhnet.


11.

Werfft um den Baal, verblendte Pfaffen,

Das er euch nicht in Abgrund zih!

Bleibt länger nicht des Pabstes Affen!

Ach merkt und merkt, wi ich entflih!

Ihr helffet fort ohn euer wissen,

Was euch wird ewig reuen müssen.


12.

Seht, Völker, seht wi Gott mitstimmet,

Und durch di Feinde mich fortzeucht!

Sein Zorn ist über Saul entgrimmet!

Weh ihm, das er zu todten fleucht!

Weh seinem hauff, der gantz verfluchet,

Das er bei Heilgen hülfe suchet.


13.

Du bist, O Rom, mehr als verteufelt!

Ach Petrus hasset höchst dein Werk!

So bald du hast an Gott verzweifelt,

Und batst vom Petrus hülf und stärk,

So bald ist Petrus dir entwichen,

Das er vor tausend Jahr erblichen.


14.

Was leugstdu, Pabst, du Höllenkönig,

Das Petrus noch auf deinem Stuhl?

Du herrschest, Lügner, noch ein wenig!

Dann ist dein Rom im Schwefelpfuhl.

Du must bei allen Teufeln wohnen,

Und kanst bei Petrus nimmer thronen.


15.

Wi Christus Geist den Petrum führte,

So führt er mich in heilger Krafft.

Wann Christus Geist dich, Pabst, regirte,

Wi würdestdu nun weggeschafft?[60]

Wann Christus Geist durch mich wird blitzen,

Sih ob du wirst als Petrus sitzen.


16.

Dreieinger Gott! Du wirst begnaden

Mich täglich mehr nach deinem will!

Durch Engel mich bepallissaden,

Das ich dir gäntzlich halte still.

Du wirst, mein Gott, in mir vollenden,

Was sich auff ewig nicht wird enden.


17.

Wann Pharao mich angenommen,

Wi du vor mir hast zugesagt,

Mus Pharao im Meer umkommen,

Weil er sich uns hat nachgewagt.

Dein Zorn wird ihn im Meer ereilen,

Das du vor uns wirst gantz zertheilen.


18.

Dann werden Moses lid anschallen

Di Völker von West, Nord, Ost, Sud!

Was ist verborgen, wird erhallen:

Zu dem Mein Gott zwar alle lud,

Doch wolten alle drei befördern

Dadurch si sind zu Seelenmördern.


19.

»Wann Joseph in dem kerker schmachtet

Um Gottesfurcht darein verkaufft,

Wird er von Feind und Freund verachtet,

Und ist ein stein, an den man laufft:

Als aber ihm Egypten dinet,

Dann ist, das Josephsbeispil grünet.«


20.

Drum las, Dreieiniger, dich loben,

Das du mich würdig hast erklährt,

Das ider wider mich wolt toben,

Und mich mit viler last beschwert,

An dem ein beispil deines leiten

Zu deinem Lob einst all ausbreiten.

Quelle:
Quirinus Kuhlmann: Kühlpsalter, Band 1 (Buch 1–4), Tübingen 1971, S. 58-61.
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