Mit Orangen

[457] Hier bring ich süße Früchte,

Die auf gar ferner Au,

Dort unter jenem Himmel

Gereift, der ewig blau.

Wenn du sie wirst genießen,

So werden sie dir gern

Den freien Blick erschließen

In weite Länderfern.


Du denke dir die Bäume,

Die sie erzogen groß,

Das saftig-dunkelgrüne

Laubwerk, das sie umschloß,

Wie sie wohl mochten winken

Hell aus der Blätternacht,

Wie Edelsteine blinken

Aus dunklem Bergesschacht.


Du denk dir die Olive,

Wie sie ihr Grün, so licht,

Mit der Zypresse Dunkel

Zu buntem Kranze flicht.

Du denke dir die Pinien,

Gewaltig, breit und dicht,

Der Pappeln schlanke Linien

Zum Himmel aufgericht.


Die Rebe, die die Stämme

Mit süßem Netz umringt,

Die leicht von Baum zu Baume

Die Liebesketten schlingt.

Denk dir die Rosen glühend

Im schönsten Purpurschein

Und süße Düfte sprühend

Durch nächtlich dunkeln Hain.[458]


Denk dir die Pracht des Kaktus,

Die blühnde Aloe

Und drüber hin die Palme,

Strebend hinauf zur Höh!

Sieh, Schmetterlinge fliegen

Durch all die Blumen hin

Eidechsen, die sich wiegen

Auf Rosen, goldengrün.


Denk dir durch dieses alles

Der Lüfte leisen Tanz

Und über diesem allem

Des Mondes Zauberglanz,

Der wandelnd still und milde

Im Äther, wolkenlos,

Sich unten schau im Bilde

Aus blauem Meeresschoß.


Und durch die See hin fahre

Ein Nachen, fischervoll,

Aus dem die Barkarole

Dir lustig schallen soll,

Wechselnd mit frohem Lachen

Aus süßer Mädchen Mund,

Die, schaukelnd sich im Nachen.

Schauen in Meeres Grund.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 457-459.
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