Prolog

[322] Der Winter stand ein eiserner Tyrann,

Nie lösend seine Faust, die festgeballte,

Die eisig sich um Berg' und Täler krallte;

Ihr Leben lag erstarrt in seinem Bann.

Als frostbedeckt die Berg' und Tale ruhten,

Gesellig drängte doch das Menschenleben

In Lust und Spiel zusammen seine Gluten,

Ließ Freudenfeste überm Tode schweben.

Zum Tanz berauschend sangen helle Geigen,

Die schöne Jugend drehte sich im Reigen,

Nicht denkend an ein Scheiden und Vergehen,

Sorglos, wie sich die Stern am Himmel drehen.

Und übers blanke Feld des Eises glitten

Mit Geißelknall und Schellenklang die Schlitten.

So war es jüngst noch im Magyarenlande,

Am segenüberhäuften Donaustrande.

Wer hätte wohl in so beglückten Stunden

Den Donnerschlag des Unglücks vorempfunden?

Wer hörte damals in den Schlittenschellen

Prophetisch grause Totenglöcklein gellen?

Kein Tänzer ahnte dort beim Taumelfeste

Im Wassersturme tanzende Paläste.

Die Jubeltage waren bald verflogen,[322]

Die Freude senkte die erregten Wogen,

Die Zeit des holden Frühlings war gekommen,

Die alle Herzen spüren süß beklommen,

Die Zeit, wo aus dem Eis die Knospen springen

Und hell vom Liebesfest die Wälder klingen.

O Frühling, alle Herzen harrten dein,

Auf deine Lieder, deinen Sonnenschein;

Wie schrecklich aber täuschtest du ihr Hoffen,

Mit welchen Liedern hast du sie getroffen!

Sturmläuten, Jammerruf und Hülfeschreien,

Und Flutendonner, schlagend an die Wände,

Sind diesmal, Frühling, deine Melodeien;

Und deine Blumen sind gerungne Hände,

Und rings verzweiflungsblasse Angesichter;

Diesmal bist du gekommen als Vernichter!

Danubius, der starke Riese, hat

Schon längst gebuhlt um diese schöne Stadt;

Der Riese hat an hellen Sommertagen

Auf seiner breiten Brust ihr Bild getragen,

Er trug ihr Bild gefaßt in Strahlenflimmer;

Wie hat es doch so bang gezittert immer!

Zu Winter hielt er einen festen Schlaf,

Bis weckend ihn der Hauch des Frühlings traf.

Urplötzlich ward vom Schlaf Danubius munter,

Er springt nach seiner Braut mit offnen Armen,

Sie jammert auf, er faßt sie ohn Erbarmen

Und reißt sie jauchzend in sein Bett hinunter.

Er brachte ihr, als reiche Morgengabe,

Die wüsten Trümmer mit von manchem Grabe:

Waldstämme, Dächer und zerrißne Mühlen

Ließ er heran zu ihren Füßen spülen,

Und Leichen rollt er, frische, längstversenkte,

Die nun die Flut aus ihren Grüften drängte.

Die Welle, die vordem so mild und zahm

Als treue Magd ins Haus des Menschen kam,[323]

Die noch im Herbst als Müllerin geschaltet,

Hat jetzt sich zur Hyäne umgestaltet,

Sie wühlt hervor, was alte Gräber bergen,

Und treibt heran die Wiegen mit den Särgen.

Durch alle Schranken stürzen sich die Fluten,

Sie steigen immer höher an die Wände,

Und unaufhaltsam sieht der Mensch sein Ende,

Wie seine Jahre schrumpfen zu Minuten.

Dort auf die Dächer klettern die Bedrohten:

So sammeln sich die Schwalben auf den Dächern,

Enteilend ihren gastlichen Gemächern,

Wenn übers Meer der Süden sie entboten.

Es werden diese angstgetriebnen Seelen,

Den Schwalben gleich, des Weges nicht verfehlen,

Sie flüchten in die Heimat übers Meer,

Von wannen aber keine Wiederkehr.

Ein Schrei, ein Krach – und alles ist verschwunden –

Nun todesstill – nie wird die Spur gefunden.

Im Element verschwunden ohne Spur

Ist hier der Menschen Werk und all ihr Glück,

Als träumte wieder einmal die Natur

In ihre wilde Jugend sich zurück.

Fort ist die Stadt, die blühend sich geregt,

Als hätte dürres Laub der Sturm verfegt;

Die alten Steppen werden aufgefrischt,

Wo eines edlen Volkes Freude stand,

Als eine leere Tafel blieb das Land,

Des Volkes Rechnung ist hinweggewischt.

Und weinend wandeln auf der wüsten Heide,

Dem stillen Grab von so viel Glück und Leide,

Das Elend und der Kummer, eng verschlungen,

Und spät verblutende Erinnerungen.

Hier lernt das Herz erträumten Schmerz vergessen,

Hat ihm ein Hauch des Schicksals weh getan;[324]

Wir lernen unsern kummervollen Wahn

An dem furchtbar gediegnen Unglück messen.

O haltet euer Herz an die gekettet,

Die aus dem Sturm als Bettler sich gerettet!

O gebt mit sanftem Wort und weichen Händen

Dem Kummer Trost, dem Elend eure Spenden!

Das ist ein böser Frühling für die Armen,

Und unersetzlich ist, was er genommen;

Doch eure Liebe wird dem Unglück frommen,

Denn Balsam jeder Wunde ist Erbarmen.

Die milden Gaben, eure Liebesboten,

Sie heilen nicht die unheilbaren Schäden,

Und nicht erwecken können sie die Toten;

Doch können sie den großen Schmerz bereden,

Daß er sich allgemach zur Wehmut mildre,

Und daß er zur Verzweiflung nicht verwildre.

Die Armen schauen mit verweinten Blicken,

Gerührt, auf ihrem Schutt des Mitleids Blüte;

Der Herzenshauch von euch wird sie erquicken;

Der schönste Frühling ist die Herzensgüte!

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 322-325.
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