10.
Als Sr. Hochedelgebohrnen der Herr Professor Kant, den 21sten August 1770 für die Professor-Würde disputirte

[78] Mit ächterm Ruhm, als unbesiegte Sieger

Nur groß an Glück, am Herzen wild als Tiger,

Durch Härt und Wuth und unerhörtes Schlachten

Zu haschen trachten;


Mit ächterm Ruhm, als mancher Filz bezahlet,

Der mit des Reimers feiler Demuth prahlet,

Dem Strohmann gleich, den man mit Lappen decket

Und Kinder schröcket;


Mit ächterm Ruhme wird der Mann belohnet,

In welchem Tugend bey der Weißheit wohnet,

Der Menschheit Lehrer, der, was er sie lehret,

Selbst übt und ehret:


Des richtig Auge nie ein Schimmer blendte,

Der nie die Thorheit kriechend Weißheit nennte,

Der oft die Maske die wir scheuen müssen

Ihr abgerissen.


Da lag der Orden und des Hofes Waare,

Und Kriegeszeichen, Turban und Tiare,

Der Priestermantel, Schleyer, Kutten, Decken,

Die sie verstecken[79]


Und sie stand nackend. Abscheu und Gelächter

Ward ihr zu Theile. Aber die Verächter

Des schlechten Kittels und berauchter Hütten

Samt ihren Sitten


Sahn staunend dort, sie, die den Glanz der Thronen

Verschmähet, dort die hohe Weißheit wohnen,

Die an Verstand und Herzen ungekränket,

Dort lebt und denket.


Schon vielen Augen hat er Licht gegeben,

Einfalt im Denken und Natur im Leben

Der Weißheit Schülern, die er unterwiesen,

Mit Ernst gepriesen:


Mit reiner Lust ihr Leben angefüllet,

Weil sie den Durst nach Weißheit, den er stillet,

Doch nimmer löschet, glücklicher als Fürsten,

Zeitlebens dürsten:


Den Tod mit Rosen und Jesmin gezieret,

Voll neuer Reitze ihnen zugeführet,

Daß sie den Retter aus des Lebens Schlingen,

Vertraut umfiengen.


Stets wollen wir durch Weißheit Ihn erheben,

Ihn unsern Lehrer, wie er lehrte, leben

Und andre lehren: unsre Kinder sollen

Auch also wollen.


Ihr Söhne Frankreichs! schmäht denn unser Norden,

Fragt ob Genies je hier erzeuget worden:

Wenn Kant noch lebet, werdt ihr diese Fragen

Nicht wieder wagen.

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Gedichte, Berlin 1891, S. 78-80.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon