Mabel Meier

[14] Es war spät. Häufig hörte ich die Geräusche von Fahrzeugen. In Abständen sah ich Leute. An einer Ecke standen zwei, die ... schämten sich, als ich nahe war.

Mädchen kamen, die sich verspätet hatten. Wenige, die Geld verdienen wollten. Ich sah die lange Dirne, die sich jeden Abend hier herumtreibt. Ich erkannte sie an dem Unterrock.

Ein Kriminalbeamter beobachtete mich. Vor mir lief eine Frau, die blieb oft stehen und heulte.

Ich dachte nicht nach. Ich blickte zu den Sternen und fand keinen Wunsch. Ich betrachtete mich gleichgültig wie einen fremden Gegenstand. Ich schüttelte den Kopf, daß der alte Mann so spät allein geht ... Und zu den Sternen murmelt ... Und so sonderbar ist ...

Ich begegnete einer Dame, die sagte: »Au –«Ich sagte: »Darf ich Sie begleiten?« Die Dame sagte: »Bitte.« – Es war ziemlich dunkel.

Wir gingen miteinander; die Dame erzählte, sie heiße Meier, der Rufname sei aber Mabel. Sie wohne bei Verwandten, die hätten eine Portierstelle. Im übrigen sei sie Choristin.

Die Dame war nicht schön und nicht jung, aber sie sah zugänglich aus. Ich hatte keinen Grund, schüchtern zu sein –

Vor dem Haus, in dem die Dame wohnte, blieben wir stehn.

Ich machte den Vorschlag, noch ein Hotel aufzusuchen. Die Dame war nicht abgeneigt, sie sagte: »Nee –« Ich sagte: »Wieso –« Die Dame sagte, sie habe Trauer. Ich fragte, wer gestorben sei. Sie sagte: »Papa –« Ich sagte: »Sie wollen also nicht –« Über das Gesicht der Dame kam ein Lächeln. Sie schaute zu einer Laterne – – –[14]

Quelle:
Alfred Lichtenstein: Gesammelte Prosa. Zürich 1966, S. 14-15.
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