15. Neujahrs-Lied

[186] Das Jahr ist fortgelauffen

Hat seiner Tage Hauffen

Das letzte Ziel gemacht;

Was haben wir indessen

Für Missethat vergessen,

Für gutes Werck vollbracht?


Groß ist die Zahl der Stunden,

Noch wird sie überwunden

Von Rechnung unsrer Schuld:

Doch, Christe, dein Gemüthe

Reicht weiter zu an Güte,

An Langmuth und Gedult.


Was deiner Herde Sachen

Nicht wissen gut zu machen,

Zahlt deine Liebesbrunst.

Ach! laß auch künfftig schauen,

Wie billich, daß wir bauen

Auff solche treue Gunst.


Es sey ein mal ein Ende

Dem Kriege, der die Hände

Sehr tieff hat eingesetzt;

Wir müssen bald erliegen,

Woferren durch dein Siegen

Das Leyd nicht wird ersetzt.


Nun, Herr, du wirst dich regen

Mit einem neuen Segen,

Auff dieses neue Jahr;

Gieb, also nur zu leben,

Daß wir dir Anlaß geben

Zu retten deine Schar.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 186.
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