[18.]

Fast aus dem Holländischen, wie auch das nechstfolgende

[22] O du Gott der süßen Schmerzen,

Warum, daß man dich so blind

Ueberall gemalet findt?

Ich befind' es nicht im Herzen.

Nun, du habest kein Gesicht?

Ich und niemand glaubt es nicht.


Siehstu nicht, wie kanstu wissen,

Wo dein Pfeil hinfliegen sol?

Blinde sehen sonst nicht wol;

Du kanst ziemlich grade schießen.

Nun, du habest kein Gesicht?

Ich und niemand glaubt es nicht.
[22]

Die in dicke Püsche ziehen

Und in wüsten Wäldern sein,

Können doch der Liebes Pein

Und dem Bogen nicht entfliehen.

Nun, du habest kein Gesicht?

Ich und niemand glaubt es nicht.


Die das weite Meer durchjagen,

Müssen fühlen deine Stärk';

Ist das solcher Leute Werk?

Heißt das blind sein? recht zu sagen:

Nun, du habest kein Gesicht?

Ich und niemand glaubt es nicht.


Giengst du nicht die enge Straßen

In das himmlische Gebäu,

Unbegleitet ohne Scheu,

Dorftest Jupiter anfassen?

Nun, du habest kein Gesicht?

Ich und niemand glaubt es nicht.


Kontest du den Pluto finden,

Stiegest in der Hellen Schlund,

Dorftest dich auf seinem Grund

Ihn zu schießen unterwinden?

Nun, du habest kein Gesicht?

Ich und niemand glaubt es nicht.


Du wilst keine Klage kennen,

Keine Bitte nimstu an,

Alles ist umsonst gethan;

Blinde sind, die dich blind nennen;

Dieses geht mir besser ein,

Daß du trefflich taub must sein.

Quelle:
Martin Opitz: Ausgewählte Dichtungen, Leipzig 1869, S. 22-23.
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