Phöbus und der Hirtenknabe

An Gellert.


Als in Thessaliens Gefilden

Apoll, der Exulant, voll Menschenfreundlichkeit

Noch Gott im hänfnen Schäferkleid,

Bemühet war die Hirten umzubilden;

Da sein harmonischer Gesang

Und seiner Flöte Zauberklang

Durch die entzückten Fluren hallte,

Und, angespornt von einem neuen Trieb,

Der Jüngling auch sich eine Flöte hieb;

Das Mädchen Phöbus Hymnen lallte:

In jener ersten goldnen Zeit

Saß einst Apoll im Schooße junger Myrthen

Und blies und sang, behorcht von einem kleinen Hirten,

Ein hohes Lied von der Zufriedenheit.

Der Knabe fühlt. Wer müßte da nicht fühlen?

Berauscht von dem, was er empfand,

Ergriff er schnell den Phöbus bey der Hand,[3]

Und bat: o laß mich auch ein Liedchen spielen!

Der holde Gott reicht ihm das Rohr,

Der Knabe hüpft und lacht, und fährt damit zum Munde;

Schon bläst und fingert er bald eine halbe Stunde;

Allein es kommt kein Lied hervor.

Wie schauerte bey diesem Meisterstücke

Des guten Phöbus zartes Ohr!

Zuletzt nahm er mit väterlichem Blicke

Das allzulang entweihte Rohr

Aus der verwegnen Hand zurücke.

Beym Pan; das Ding ist schwer, so schwur der kleine Mann.

Ey nun, er brauchte nicht zu schwören;

Doch, fuhr er kindisch fort, was ich nicht kann,

O Phöbus, das mußt du mich lehren.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 1, Tübingen 1802, S. 3-4,11-12.
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