Epistel an Sarasin

Freund, einen kurzen Augenblick

War ich bey dir: doch wie viel Glück

Lag nicht in diesem Augenblick!

Die Freundschaft zählt nicht so die Stunden,

Wie Adam Riese zählen lehrt,

An ihrem Busen durchempfunden

Ist eine ganze Seklen werth;

Unmerkbar lang, gleich den Aeonen,

Die der entzückte Mahomet

Einst in des Weltbaus obern Zonen

Am Thron der höchsten Majestät

Durchlebet, oder doch gewähnet

Durchlebt zu haben. Gabriel

Trug ihn zum Ahnherrn Ismael

Dahin, wo Gott die Tugend krönet.

Er sah, was noch kein Auge sah,

Und hörte, was kein Ohr gehöret,

Und als er wieder umgekehret

Auf seinen Sopha; siehe da![55]

War er bey zwanzigtausend Jahren

Von Haus, und fand noch Zeit genug

Den angefüllten Wasserkrug,

Den, als er zum Olymp gefahren,

Sein Fuß vom Tisch herunter stieß,

Vor seinem Falle zu bewahren.

So zeitvoll sind im Paradies,

Am Quell des Schönen und des Guten,

Und diesseits der Gestirne mir

Bey deiner Gattin und bey dir,

O Freund, die flüchtigen Minuten.

Wenn dieses Blättchen einer liest,

Für den es nicht geschrieben ist,

Wie wird er des Phantasten lachen?

Das mag er! Soll ich ihm dafür

Noch eine saure Miene machen,

Daß er ein Glück verkennt, das wir

Mehr als das ganze Pohlen schätzen,

Um dessen letzten Scheidestrich

Therese, Käthe, Friederich

Die Federn und die Lanzen wetzen?

Das Herz bestimmt der Dinge Werth,

An ihm schleift jeder seine Brille.

Ist Sympathie ein Steckenpferd,

So sey sie meine Lieblingsgrille.[56]

O, Heil mir, Freunde, daß auch Ihr

Das mystische Concert verstehet,

Bey dessen Symphonien mir

Die kurze Zeit so schön vergehet!

Doch hätt ich Euch wohl ausgespähet?

Hätt Euch so schnell mein Herz gewählt?

Wär es von dem, der uns beseelt,

Nicht in die himmlischen Accorden

Der Sympathie gestimmet worden.

Ja, Freund, ja holde Zoe, du,

Die ich voll Stolzes Freundin nenne

Und, schloß gleich Gott mein Auge zu,

Mit allen ihren Reitzen kenne,

Auch Euch weis' ich ein Hüttchen an

Auf meiner Hesperiden-Insel,

Die sich, nach Platons frommem Plan,

Mein kühner schwärmerischer Pinsel

Für Biederseelen ausgemahlt.

O daß ich dich erschaffen möchte,

Geweyhter Feen-Aufenthalt,

Du Schinznach für die zwey Geschlechte!

Doch wenn wir dieses Heiligthum

Entzückungsvoller Sympathien

Hienieden, Freunde, nicht beziehen,

So giebt es ein Elysium.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 2, Tübingen 1802, S. 53-57.
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