[198] (1842)
Jüngst stieg ich einen Berg hinan,
Was sah ich da!
Ich sah ein allerliebstes Land,
Der Wein wuchs an der Mauer,
Und dicht am Throne, rechter Hand,
Stand Bürgersmann und Bauer.
Wunder über Wunder!
Keine Barone
Neben dem Throne?
Unterdessen nimmt mich's wunder.
Und weiter stieg ich frisch hinan,
Was sah ich da!
Kein Leutnant war, kein Fähnrich dort
Und kein Rekrut zu sehen,
Man wußte nicht das kleinste Wort
Von stehenden Armeen.
Wunder über Wunder!
Keine Barone
Neben dem Throne?
Glückliche Staaten
Ohne Soldaten?
Unterdessen nimmt mich's wunder.
[198]
Und weiter frisch den Berg hinan,
Was sah ich da!
Das ganz liebe Land entlang,
Ins Bad und auf die Messe,
Man reiste frei und reiste frank
Und brauchte keine Pässe.
Wunder über Wunder!
Keine Barone
Neben dem Throne?
Glückliche Staaten
Ohne Soldaten?
Kein Paßvisieren
Und Schikanieren?
Unterdessen nimmt mich's wunder.
Und wiederum ein Stück hinan,
Was sah ich da!
Ein jeder durfte laut und frei
Von Herzen räsonieren,
Man wußte nichts von Polizei
Und nichts von Denunzieren.
Wunder über Wunder!
Keine Barone
Neben dem Throne?
Glückliche Staaten
Ohne Soldaten?
Kein Paßvisieren
Und Schikanieren?
Ohne Spione,
Denkt euch nur: ohne?
Unterdessen nimmt mich's wunder.
Und noch einmal den Berg hinan,
Was sah ich da!
Die Volksvertreter, Mann für Mann,
Da ging's um Kopf und Kragen:
Doch dachte kein Minister dran,
Den Urlaub zu versagen.
Wunder über Wunder!
Keine Barone
Neben dem Throne?
Glückliche Staaten
Ohne Soldaten?[199]
Kein Paßvisieren
Und Schikanieren?
Ohne Spione,
Denkt euch nur: ohne?
Ganz ungenierte
Volksdeputierte?
Unterdessen nimmt mich's wunder.
Und immer höher ging's hinan,
Was sah ich da!
Sah Poesie und Wissenschaft
Mit Lust die Schwingen breiten,
Und die Zensur war abgeschafft
In alle Ewigkeiten.
Wunder über Wunder!
Keine Barone
Neben dem Throne?
Glückliche Staaten
Ohne Soldaten?
Kein Paßvisieren
Und Schikanieren?
Ohne Spione,
Denkt euch nur: ohne?
Ganz ungenierte
Volksdeputierte?
Freie Autoren
Ohne Zensoren?
Unterdessen nimmt mich's wunder.
Und weiter, weiter, frisch hinan,
Was sah ich da!
Ich sah die Weisen Hand in Hand,
Wie sie der Lüge wehrten,
Und wie für Recht und Vaterland
Mitkämpften die Gelehrten.
Wunder über Wunder!
Keine Barone
Neben dem Throne?
Glückliche Staaten
Ohne Soldaten?
Kein Paßvisieren
Und Schikanieren?
Ohne Spione,[200]
Denkt euch nur: ohne?
Ganz ungenierte
Volksdeputierte?
Freie Autoren
Ohne Zensoren?
Die Philosophen
Nicht hinterm Ofen?
Unterdessen nimmt mich's wunder.
Und immer wieder ging's hinan,
Was sah ich da!
Im ganzen Lande keine Spur
Von Muckern und von Frommen,
Und niemand kann durch Beten nur
Ins Ministerium kommen.
Wunder über Wunder!
Keine Barone
Neben dem Throne?
Glückliche Staaten
Ohne Soldaten?
Kein Paßvisieren
Und Schikanieren?
Ohne Spione,
Denkt euch nur: ohne?
Ganz ungenierte
Volksdeputierte?
Freie Autoren
Ohne Zensoren?
Die Philosophen
Nicht hinterm Ofen?
Kein Pietismus
Kein Servilismus?
Unterdessen nimmt mich's wunder.
Und nun zum letzten Mal hinan,
Was sah ich da!
Ein jeder durft auf eignem Bein
Die ew'ge Wahrheit suchen,
Kein Pfaffe durfte kreuz'ge! schrein
Und von der Kanzel fluchen.
Wunder über Wunder!
Keine Barone
Neben dem Throne?[201]
Glückliche Staaten
Ohne Soldaten?
Kein Paßvisieren
Und Schikanieren?
Ohne Spione,
Denkt euch nur: ohne?
Ganz ungenierte
Volksdeputierte?
Freie Autoren
Ohne Zensoren?
Die Philosophen
Nicht hinterm Ofen?
Kein Pietismus
Kein Servilismus?
Sanfte Theologen –
Das ist gelogen!
Unterdessen nimmt mich's wunder.
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
|
Buchempfehlung
Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik
78 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro