Andächtiges Lied, welches kan gesungen werden, wenn man sich bey dem hochwürdigen Abendmahl des Herren wil finden lassen

[264] 1.

Du Lebensbrod, Herr Jesu Christ,

Mag Dich ein Sünder haben,

Der nach dem Himmel hungrig ist

Und Sich mit Dir wil laben:

So bitt' Ich dich demühtiglich,

Du wollest so bereiten Mich,

Daß Ich ohn' alles gleissen

Ein frommer Gast müg' heissen.


2.

Auff grüner Aue wollest Du

Mich diesen Tag, Herr, leiten,

Den frischen Wassern führen zu,

Den Tisch für Mich bereiten.

Ich bin zwar sündlich, Matt und Kranck,

Doch laß Mir deinen Gnadentrank

Den Glaubens-Becher füllen

Um deines Namens willen.


3.

Du zukkersüsses Himmelbrod,

Du wollest Mir verzeihen,

Daß Ich in Meiner Seelen Noht

Zu Dir muß kläglich schreien:

Dein Glaubens Rok bedekke Mich,

Auff daß Ich müge würdiglich

An deiner Taffel sitzen,

Die theüre Kost zu nützen.


4.

Tilg' allen Haß und Bitterkeit,

O Herr, aus Meinem Hertzen;

Laß Mich die Sünd' in dieser Zeit

Bereüen ja mit Schmertzen.

Du heißgebratnes Osterlam,

Du Meiner Seelen Bräutigam,

Laß es dich nicht verdriessen,

Daß Ich dich sol geniessen.


5.

Zwahr Ich bin deiner Gunst nicht wehrt,

Als der Ich jtz erscheine

Mit Sünden allzu viel beschwehrt,

Die schmertzlich Ich beweine.

In solcher Trübsahl tröstet Mich,

Herr Jesu, daß du gnädiglich

Zu suchen bist gekommen

Die Sünder, nicht die Frommen.


6.

Ich bin ein Mensch vol Sündengrind:

Laß deine Hand Mich heilen.

Erleüchte Mich, denn Ich bin blind:

Du kanst Mir Gnad ertheilen.

Ich bin verdamt, erbarme dich,

Ich bin verlohren, suche Mich;

Ich bin mit Angst beladen:

Herr, hilff aus lauter Gnaden!


7.

Mein Bräutigam, komm her zu Mir

Und wohn' in Meinem Hertzen,

Laß Mich dich küssen für und für,

Ja liblich mit dir schertzen.

Ach laß doch deine Süssigkeit

Für Meine Seele seyn bereit,

Still' Ihren grossen Jammer

In deiner Freüdenkammer.
[264]

8.

Du LebensBrod, Herr Jesu Christ,

Komm' selbst, dich mir zu schenken;

O Bluht, das du vergossen bist,

Komm' eiligst, Mich zu tränken.

Ich bleib' in dir, du bleibst in Mir,

Drümb wirst du, güldne Himmelsthür',

Auch Mich ohn einigs Schrekken

Am jüngsten Tag' erwekken.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 264-265.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Knigge, Adolph Freiherr von

Über den Umgang mit Menschen

Über den Umgang mit Menschen

»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge

276 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon