Karfreitagslied

1.

Nun gibt Mein Jesus guhte Nacht,

Nun ist Sein Leiden vollenbracht:

Nun hat Er Seiner Seelenpfand

Geliefert in des Vaters Hand.


2.

Komt, Ihr Geschöpfe, komt herbei

Und machet bald Ein Klaggeschrei,

Das grausahm sei zur Selben Frist,

Da Gott am Kreütz verschieden ist.


3.

Des Tempels Fürhang trenne Sich,

Das Erdreich bebe furchtsahmlich,

Die Berge springen Himmel ann,

Daß man den Abgrund schauen kan.


4.

Die Wolken schreien Weh' und Ach,

Die Felsen geben Einen Krach,

Den Todten öffne Sich die Thür'

Und Sie gehn aus dem Grab' herfür.


5.

So muß der Herr der Herrligkeit

Beleütet werden diser Zeit,

Als man denselben in der Still'

Hinab zur Ruhstatt bringen will.


6.

Die Weiber stehen zwahr von fern

Und wolten sehn den Ausgang gern,

Doch wissen Sie nicht, wie man wol

Den Leib zu Grabe tragen sol.


7.

Zuletzt begibt Sich in Gefahr

Josephus, der Ein Rahtsherr war,

Der Christum liebt' und wolte nicht,

Daß man Ihn brächte fürs Gericht.


8.

Getrost ist Ihm Sein Hertz und Sinn,

Drüm geht Er zu Pilato hinn,

Begehrt den Leichnam Jesu Christ,

Der Ihm auch nicht verwegert ist.


9.

Bald komt der Nikodemus auch

Zu salben Ihn nach altem Brauch;

Er bringt der besten Specerei

Samt saubern Tüchern mancherlei.


10.

Da Jesus nun ist balsamirt

Und fein auf Todten Ahrt geziert,

Da senket man Ihn sanft hinab

Und legt Ihn in des Josephs Grab.


11.

Nun, Gottes Sohn, der uns erwekt,

Wird Selbst mit Einem Stein bedekt.

O Mensch, merk auch zur Jeden Frist,

Daß Dir Ein Grab bereitet ist.


12.

Was trotzet doch der arme Staub?

Der Würger macht Ihn bald zum Raub'.

Ach! Prange nicht, du trüber Koht,

Den »Heüt' Ein König, Morgen Tod.«
[287]

13.

Es wird vielleicht nicht balsamirt

Dein Leichnam noch so schön geziert:

Es ist genug, wen man Ihn trägt

Und ehrlich in die Grube legt.


14.

Doch freüe dich, O frommes Hertz,

Daß dich der Sünden bittrer Schmertz

Hinführo nicht betrüben kan,

Die Selbst begrub der Schmertzenmann.


15.

Nur Er that deine Bößheit ab

Und nahm Sie gäntzlich mit ins Grab,

Und als Er ward vom Tod' entfreit,

Da bracht' Er mit Gerechtigkeit.


16.

Sterb' Ich nun gleich, was ist es mehr?

Steh' Ich doch auf mit Pracht und Ehr':

Im Grabe bleibt der Sündenschlamm,

Den Ich aus diser Welt mit namm.


17.

Mein Heiland hat in Jenner Nacht

Den Sabbaht Mir zu wege bracht:

Der hilft Mir bald zur süssen Ruh,

In dem' Ich thu Mein' Augen zu.


18.

Hie leb' Ich aller Unruh vol,

Und wen mans den noch loben sol,

So heist es gleichwol: Daß hiebei

Nur Müh' und Angst gewesen sei.


19.

So bald Ich aber aus der Luft

Gebracht bin in die tunkle Kluft,

So wohn' Ich sicher, still, behend',

Und all Mein Unglükk' hat Ein End'.


20.

Heist daß nicht wol Ein grosser Ruhm?

Mein Grab wird Mir zum Heiligthum,

Den Christus, der im Grab' erwacht,

Hat heilig auch Mein Grab gemacht.


21.

Bald komt die libe Zeit herbei,

Wen uns der Engel Feldgeschrei

Macht munter, daß wir Jesum sehn

Und zu des Lammes Hochzeit gehn.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 285-288.
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