Nachtmahlsandacht am Grünen Donnerstage

[263] Wach auf, mein Geist, ich muß es recht bedenken,

Wie Jesus itz bemühet ist, zu schenken

Mir seinen Leib, der schwach und blutig hieng

Am dürren Holz, wo Gott den Tod empfieng.

Ja, diesen Leib gibt er mir noch zu essen,

Und wil, ich sol auch nimmermehr vergessen

Der Lieb' und Treu', welch' er (o höchstes Gut!].

An mir gethan, als er vergoß sein Blut.

Er hat mich ja der Höllenpein entfreiet,

Wofür mein Mund ein Danklied itz ausschreiet,

Auch dieß mein Herz bringt singend auf die Bahn

Das Gute, so mein Gott an mir gethan.

Er spricht: »Nehmt hin den Leib, für euch gegeben,

Und trinkt mein Blut, das theure Pfand, daneben.«

O süße Lieb', o große Wunderthat,

Daß in den Tod sich Gott gegeben hat!

Wo könte man doch solche Gnade finden,

Dadurch ein Mensch befreiet wird von Sünden,

Demnach Gott selbst zur Sünd' hat den gemacht,

Der an das Bös' auch nimmermehr gedacht?

Was nützet denn das Essen und das Trinken

Im Abendmahl? Es sol kein Mensch versinken

Im Höllenpfuhl, der diesen Worten traut:

»Mein Tod hat euch den Himmel aufgebaut.«

Ist schon dein Glaub' hie schwach, daß er gedenket:

Ob Jesus gleich sich selbst den Sündern schenket,

Wer weiß, ob ich gehör' in diese Zahl?

Ja, Mensch, an dir komt zu dieß Abendmahl.

Es läßt dieß Pfand sich so gar kräftig sehen,

Daß du getrost kanst mit den Sündern gehen

Zu Jesu hin und schließen festiglich,

Daß er den Tod gelitten auch für dich.

Und ob du schon den Taufbund so gebrochen,

Daß dir darob erschüttern alle Knochen,[264]

O Mensch, lauf hin, nim Christus Leib und Blut;

Was gilts, dein Herz wird frisch und wolgemut?

Und ob dich gleich die Sündenbürden drücken,

Kan doch allein dein Jesus dich erquicken;

Derselbe gibt dir solche Speis' und Trank,

Wodurch dein Geist bleibt stark sein Leben lang.

Sobald wir nun den Leib und Blut genossen,

Sind wir in ihm und er in uns geschlossen,

Denn wer nur glaubt, der wird ihm inverleibt,

Auch so, daß er in uns wahrhaftig bleibt.

Sein Fleisch und Blut daß läßt uns noch auf Erden

Der göttlichen Natur theilhaftig werden;

Dieß ist das Brod vom Himmel, welches Kraft,

Ein Leben, das ohn Ende bleibt, uns schafft.

Dieß Abendmahl kan solche Lieb' erregen

In uns, daß sich Leib, Seel' und Geist bewegen,

Zu dienen Gott, dem Nächsten auch zugleich;

Von Hoffnung macht es uns auch trefflich reich.

Es gibt Gedult in allem Kreuz und Leiden,

Es lehret uns die Sünd' und Laster meiden,

Es dämpft die Lust im Fleisch und regt uns an,

Daß wir hinfort thun Gutes jedermann.

Herr Jesu, hilf, daß wir dieß recht bedenken,

Wenn wir zu dir mit neuer Buß' uns lenken;

Laß würdig uns genießen dieses Mahl

Und gehn durch dich in deinen Freudensal.

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 263-265.
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