Treühertzige Ermahnung und Warnung an die sichere Welt, daß sie sich gegen dem herannahendem Jüngsten Tag mit wahrer Bußfertigkeit wolle bereit und gefast machen

[240] In seiner eigenen gantz neüen Melodei.


1.

Wach' auf, wach' auf, du sichre Welt,

Der letste Tag wird warlich kommen;

Den waß im Himmel ist bestelt,

Wird durch die Zeit nicht hingenommen.

Ja waß der Heiland hat geschwohren

Sol endlich alzumahl geschehn:

Ob gleich die Welt muß untergehn,

So wird sein Wohrt doch nicht verlohren.
[240]

2.

Sprich nicht, du schnödes Sünden Kind:

Man hat schon längst davon gelehret,

Und folgt doch nichts. Ach! du bist blind,

Der Satan hat dein Hertz betöhret.

Ja, Spötter, du darfst gahr nicht sorgen,

Ob gülten Christus Wohrte nicht:

Nein, bringen wird Er für Gericht,

Waß hier gewesen gantz verborgen.


3.

Ich schaff und würke, waß Ich wol',

Im essen, trinken, schlaffen, wachen,

So hör Ich Angst und Schrekkens vol

Luft, Himmel, Erd' und Wasser krachen;

Ich höre schon die Stimm erschallen:

Steht auf, Ihr Todten, geht herfür,

Hier ist die Hell' und Himmelsthür.

Mein Gott, laß Mich zu diser wallen.


4.

Wach' auf, der letste Tag ist nah',

Es lehrens ja des HimmelsZeichen:

Die klare Lichter stehen da,

Als wolten sie bald von uns weichen;

Das Firmament läst sich bewegen,

Es wühtet das erzürnte Meer,

Die Flüsse lauffen über her,

Die Winde wollen sich nicht legen.


5.

Den Leüten ist auf Erden bang,

Sie gehen stets in Traurgedanken.

Es währet leider allzulang

Das Streiten, Kriegen, Rauben, Zanken;

Die Nahrung kan man kaum erwerben,

Die Frommen werden sehr geplagt,

Der eine heült, der ander klagt,

Die meisten wünschen bald zusterben.


6.

Der HERR verzeücht die letste Zeit.

Dieweil Er uns so hertzlich liebet

Und nur auß lauter Freündligkeit

Uns Frist und Raum zur Buhsse gibet:

Er weiß gahr sanft mit uns zu fahren,

Hält auf den lieben Jüngsten Tag,

Daß sich der Frommen Glaube mag

Samt Lieb und Hoffnung offenbahren.


7.

Wach'auf, der HERR komt zum Gericht',

Er wird sehr prächtig lassen schauen

Sein Richterliches Angesicht,

Daß die Verdamten machet grauen.

Seht, den der Vatter lässet sitzen

Zu Seiner Rechten, der die Welt

Zu Seinen Füssen hat gestelt,

Der komt mit Donnern, Feür und Blitzen.


8.

Es wird Ihn sehen Kaiphas,

Der Ihn so fälschlich hat verdammet,

Pilatus, der wird werden blaß,

Wen dises Richters Antlitz flammet.

Auch Judas, der Ihn hat verrahten,

Herodes, der Ihn bracht in Spott,

Die werden den, ô grosser Gott,

Verfluchen jhre böse Thaten!


9.

Sehr lieblich wird im Gegentheil

Erscheinen diser Tag den Frommen,

An welchem Ihr erwünschtes Heil,

Sie frei zu machen, ist gekommen.

Der rechte Josua wird bringen

Die Seinige mit starker Hand

In das gelobte Vatterland',

Ein Siegeslied daselbst zusingen.


10.

Sind gleich die Zeiten so verkehrt,

Daß wir für Unmuht schier vergehen,

Wird schon die Trübsahl so vermehrt,

Daß auch kein Ziel daran zusehen:

Geduldet Eüch, bald wird sich enden

Des Lebens schwehre Pilgrimschaft;

Bald werden wir dahin geraft,

Wo sich die Plagen von uns wenden.


11.

Der Frühling ist schon vor der Thür,

Der Feigenbaum wil Laub gewinnen,

Die Blühmlein schiessen auch herfür,

Die Zeit erneüert uns die Sinnen:

Bald komt das rechte SommerLeben,

In welchem unser Leib wird sein

Verklähret wie der Sonnenschein,

Den uns der Jüngste Tag wird geben.
[241]

12.

Wach' auf, wach' auf, du sichre Welt,

Sehr schnel wird diser Tag einbrechen.

Wer weiß, wie bald es Gott gefält:

Sein Will' ist gahr nit außzusprechen.

Ach hüte Dich vor Geitz und Prassen:

Gleich wie das Vöglein wird berükt,

Noch eh' es seinen Feind erblikt,

So schnell wird diser Tag Dich fassen.


13.

Wolan wir wollen fleissig behten,

Wir wollen wachen Tag und Nacht,

Wir wollen gleich den Knechten treten,

Welch' auf die Herren geben acht.

Komt, lasset uns entgegen gehen

Dem Bräutigam zu rechter Zeit,

Damit wir in der Ewigkeit

Samt allen Engeln für Ihm stehen.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 240-242.
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