Der frörer und der floch

[270] In dem spiegelton des Erenboten.


29. januar 1549.


1.

Der frörer und ein floch klagten einander,

wie sie heten ein böse nacht[270]

gehabet beidesander.

der floch sprach: »in eins bürgers haus

bin ich die nacht gelegen,

So bald ich der bürgerin leib berüret,

schrei sie der maid: ›zünd an ein licht!

ein floch hab ich gespüret.‹

do suchtens mich fast auf zwu stunt,

kaum entsprang ich alwegen.«

Der fröer sprach: »so war ich din

im dorf bei einer beuerin,

die mich doch gar verachtet;

sie trunk milich, wasser und kalte schoten

fur auch, buck brod und molk die kü

und tet im haus um droten;

bei ir het ich kein ru noch rast,

darum ich von ir trachtet.


2.

Wilt, so wöl wir unser herberg vertauschen.«

»ja wol,« sprach der floch, »ich wil heint

die beuerin erlauschen,

und schleich du zu der burgerin.«

also sie sich beid schiden.

Der fröer zu der bürgerin eintrate,

sobalt des fröers sie entpfant,

eilt sie in ir betstate,

deckt sich mit hohen schauben zu;

sie tet zittren und biden.

Man must ir wermen ziegelstein,

vil seft zur labung nam sie ein,

ein wachslicht brinnen tete,

ein köstling rauch must man in kamern machen.

fru man zwen erzt zu ir berüft,

die redten zu den sachen,

das der fröer drei monat lang

noch herberg bei ir hete.


3.

Der floch zu nacht auch zu der beurin liefe;

auf eim strosack, vor arbeit müd,[271]

sie hertiglich entschliefe;

da fing der floch zu freßen an,

sicher, on alles sorgen,

Das sich die beurin nie kein mal umkeret,

auch nie erwacht die lange nacht

das dem floch het geweret.

so speist er sich und het sein ru,

bis an den hellen morgen.

Also ieder zu herberg blieb

an ent, das man in nit austrieb.

des tut ein sprichwort sagen:

die krankheit bleibt, wo man ir wol tut warten;

etwan trift sie auch an ein man,

der sie tut überharten.

wer sie haust und ir hanget nach,

muß sie dest lenger tragen.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 270-272.
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