2. Frühlingslied

[254] 1784.


Unsre Wiesen grünen wieder,

Blumen duften überall;

Fröhlich tönen Finkenlieder,

Zärtlich schlägt die Nachtigall.

Alle Wipfel dämmern grüner,

Liebe girrt und lockt darin;

Jeder Schäfer wird nun kühner,

Sanfter jede Schäferin.
[254]

Blüten, die die Knosp' entwickeln,

Hüllt der Lenz in zartes Laub;

Färbt den Sammet der Aurikeln,

Pudert sie mit Silberstaub.

Sieh! das holde Maienreischen

Dringt aus breitem Blatt hervor,

Beut sich zum bescheidnen Sträußchen

An der Unschuld Busenflor.


Auf den zarten Stengeln wanken

Tulpenkelche, rot und gelb,[255]

Und das Geißblatt flicht aus Ranken

Liebenden ein Laubgewölb'.

Alle Lüfte säuseln lauer

Mit der Liebe Hauch uns an;

Frühlingslust und Wonneschauer

Fühlet, was noch fühlen kann.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 41, Stuttgart [o.J.], S. 254-256.
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