24. Die Einsiedelei

[283] Amat nemus et fugit urbes.

Hor.

Es rieselt, klar und wehend,

Ein Quell im Eichenwald;

Da wähl' ich einsam gehend

Mir meinen Aufenthalt.[283]

Mir dienet zur Kapelle

Ein Gröttchen, duftigfrisch;

Zu meiner Klausnerzelle

Verschlungenes Gebüsch.


Zwar düster ist und trüber

Die nahe Wüstenei,

Allein nur desto lieber

Der stillen Phantasei.

Da ruh' ich oft im dichten,

Beblümten Heidekraut;

Hoch wehn die schlanken Fichten

Und stöhnen Seufzerlaut'.


Wo von Wachholdersträuchen

Den Kieselsteig hinan

Verworrne Ranken schleichen,

Da brech' ich mir die Bahn;

Durch des Gehaues Stumpen,

Wo wilde Erdbeern stehn,

Klimm' ich auf Felsenklumpen,

Das Land umher zu sehn.


Nichts unterbricht das Schweigen

Der Wildnis weit und breit,

Als wenn auf dürren Zweigen

Ein Grünspecht hackt und schreit,

Ein Rab' auf hoher Spitze

Bemooster Tannen krächzt,

Und in der Felsenritze

Ein Ringeltäubchen ächzt.


Wie sich das Herz erweitert

Im engen, dichten Wald!

Den öden Trübsinn heitert

Der traute Schatten bald.[284]

Kein überlegner Späher

Erforscht hier meine Spur;

Hier bin ich frei und näher

Der Einfalt und Natur.


O blieb' ich von den Ketten

Des Weltgewirres frei!

Könnt' ich zu dir mich retten,

Du traute Siedelei!

Froh, daß ich dem Gebrause

Des Menschenschwarms entwich,

Baut' ich hier eine Klause

Für Liebchen und für mich.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 41, Stuttgart [o.J.], S. 283-285.
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