49. Entzogenheit

[313] Im trauten Schatten stiller Entzogenheit

Fand ich den Frieden, der uns erweicht und stärkt,

Der auf das Schicksal, wie der Weise

Heiter auf blühende Gräber, schauet.


O du des Weltlaufs süße Vergessenheit,

Die, um sie mehr zu lieben, die Menschen flieht;

Erlittnen Unrechts Widerhaken

Lösest du sanft aus der Seele Wunden.


Gesetzen Sinnes, mißt der Betrachtung Blick

Den Wert der Dinge nach der Erfahrung Stab;

Nicht mehr der Meinung Wechselhauche

Dienstbar, noch biegsam dem Druck der Willkür.


Wie draußen Flocken taumeln in kalter Luft,

Sieht er des Leichtsinns Spiele geborgen an;

Des Thoren Freud', ihr trübe lächelnd;

Siege der Bosheit mit kurzen Seufzern.


Verbreite deinen Schleier, Entzogenheit,

Um meine Freuden, dichter um meinen Schmerz;

Birg meine Thränen vor der Schmähsucht,

Birg der verschämten Empfindung Wonne!


Wer jeden duldet, liebt, was zu lieben ist,

Von andern wenig, vieles von sich begehrt,

Dem sproßt des heitern Friedens Ölblatt,

Das der Genügsamkeit Stirne kühlet.
[314]

Mit Lotus kränz' ich meiner Penaten Haupt;

Vergangner Kummer, Sorge der Zukunft naht

Nicht meiner Schwelle; Lebensweisheit

Suchet ihr Glück nur im engen Kreise.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 41, Stuttgart [o.J.], S. 313-315.
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