Der Maler und der Liebhaber.

[112] »Soll ich dir dein Röschen malen,

Nach den schönsten Idealen,

Oder Zug vor Zug genau?

Locken, die den Hals umfangen,

Grübchen in den Rosenwangen

Frey die Stirn, das Auge blau?
[112]

Mal ich Lippen, die beym Lachen

Jene Grübchen tiefer machen,

Zähne, so wie Perlen schön?

Unter Flor die Busenhügel,

Arme weiß wie Schwanenflügel,

Hände wie die Grazien?


Mal ich Röschens Hals und Schultern

Wie der Juno Hals und Schultern

Glat und weiß wie Elfenbein?

Cypria vom Meer gebohren,

Nympfen warm in Lust verlohren,

Sollen diese mir – ?« Nein, nein!
[113]

Braune Locken magst du malen,

Blauer Augen Himmelsstraalen

Meisterzüge ins Gesicht,

Arme, Hand und Busenhöhen,

Aber was ich mehr gesehen,

Nein das schönste triffst du nicht.


Der die höchste Kunst erfüllte,

Als er Amors Mutter bildte,

Hätt er Röschens Reitz gesehn,

Schnell hätt' er sein Werk zernichtet,

Und nach Röschen eins errichtet,

Dann wäre seine Venus schön.
[114]

Der zum Unglück der Dryaden

Einst Dianen sah sich baden,

Diesem wärs vielleicht geglückt,

Röschens Schenkel so zu zeichnen,

Daß sie nicht den Reitz verleugnen,

Womit sich Natur geschmückt.


Und der Nektarkelch voll Leben,

Den die Götter einst bey Heben,

Als sie fiel, bezaubernd sahn,

Unter allen Opferschalen

Sie die schönste – die zu malen,

Sprich, darf sich die Kunst ihr nah'n?
[115]

Als durch Venus Gürtelskräfte,

Zeus das große Weltgeschäfte,

Hinter goldnen Wolken that,

Wagts je wer da sie zu malen?

Und hier blenden Wolluststrahlen

Mehr, als dort der Goldglanz that.
[116]

Quelle:
[Johann Georg Scheffner]: Gedichte im Geschmack des Grecourt, Frankfurt; Leipzig 1771, S. 112-117.
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