Das Feenkind

[234] An die Schauspielerin Friederike Bethmann.


Ich kannt' ein seltsam Feenkind

Es war so klein und zart,

Und wechselte wie Luft und Wind

Gestalt und Sinnesart.


Dem Feenkinde nur gefällt

Was Spiel ist bunt und kraus;

So zog es durch die weite Welt

Auf Zaubereien aus.


Es schien ein feiner Knabe bald,

Und bald ein zierlich Weib;

Nun knapp umschließt, nun frei umwallt

Gewand den schlanken Leib.


Bald wählt sie Edelstein und Gold,

Der Stickereien Pracht,

Das Reichste, was die Erde zollt,

Scheint nur für sie gemacht.
[235]

Doch giebt ihr nichts der fremde Glanz,

Er leiht den Reiz von ihr:

Ihr Haar ist der Juwelen Kranz,

Ihr Arm der Spange Zier.


Bald, wie die Blumen auf der Au,

Thut sie auf Schmuck Verzicht,

Und es beschämt der Augen Blau

Nur das Vergißmeinnicht.


Verwandelt und verwandelnd eilt

Sie weit durch Zeit und Raum.

Erfreut, betrübt, verwundet, heilt,

Und wie, das weiß man kaum.


Jetzt hoch an Sinn und edlem Blut

Winkt sie, ein Rittersweib,

Vom Helmbusch ihren Knappen Muth,

Und fällt des Feindes Leib.


Als Alpenhirtin scherzt und singt

Sie munter bei der Müh,

Und in ihr kleines Hüttchen dringt

Der Liebe Kummer nie;


Der jetzo sie in irrem Wahn

Durch Hain und Wildniß treibt:

Sie sieht nicht den Geliebten nahn,

Sie fragt noch, wo er bleibt.


Im Wunderland als Wilde dann,

Mit hüpfend leichtem Tritt,

Neckt sie den eifersücht'gen Mann

Und alle Männer mit.
[236]

Ist jetzt des Helden liebend Herz,

Der kühn um Nachruhm wirbt,

Und flieht als Freiheit himmelwärts,

Da er für Freiheit stirbt.


Sie wohnt als fromme Königin

Im Kerker, still und groß,

Und jeder stürzte willig hin

Für sie zum Todeslooß.


Jüngst kam sie, gramzerrüttet ganz

Bald trug man dann den Sarg,

Der unter Blumen, unterm Kranz,

Das blüh'nde Leben barg.


Ach, soll's unwiderruflich sein?

So bangte mir das Herz.

Zu schaudervoll ist dieser Schein,

Zu grausam dieser Scherz.


Doch ist umsonst mit Feenmacht

Die Holde nicht begabt:

In frischer Jugend morgen lacht,

Die eben ihr begrabt.


Dem Wechsel, der sie sonst erfreut,

Setzt sie wohl selbst ein Ziel:

Ein leichter Wink von ihr zerstreut

Der Bühne Gaukelspiel.


Klug, sittig, edel, schlingt sie nun

Der Freundschaft zartes Band.

Das, sagt' ich, ist ihr wahres Thun,

Das Ruh hat und Bestand.
[237]

Doch unter Zutraun, unter Scherz,

Fällt oftmals nebenbei

Doch der Gedanke mir auf's Herz

An ihre Zauberei.


Die feinen Thierchen um sie her

Bestärken mich darin:

Sie sind nicht da von ungefähr,

Das hat geheimen Sinn.


Wenn in dem Ringe wunderlich

Ihr schöner Cacadu

Sich wiegt, und ruft mit Namen sich:

Jaquot! Jaquot! ihr zu;


Wenn ihr das Möpschen in's Gesicht

Aus schlauen Augen gafft,

Und mit der Pfote bittend spricht,

Und eifersüchtig klafft;


Wenn unter der behenden Last

Das Roß sich stolzer hebt;

Und jeden ihrer Winke faßt,

Und ihr zu dienen strebt;


Dann denk' ich: immer gleich gesinnt

Sind sie, verwandelt, noch,

Und tragen um das Feenkind

Verschmähter Wünsche Joch.


Drum hüte sich wer sie nur sieht!

Mit einem Blicke bloß

Weiß er nicht mehr wie ihm geschieht,

Und kommt wohl nimmer los.
[238]

Doch warn' ich vor Bezauberung,

Und bin verzaubert schon?

Stimmt sie des ernsten Liedes Schwung

Nicht zum Romanzenton?


So leg' ich ihr zu Füßen dar,

Die leichte Melodie,

Die meines Liedes Inhalt war,

Und meine Muse, sie.

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke Band 1, Leipzig 1846, S. 234-239.
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