Gesang der Ehre

[403] Zu Ende 1812


Wenn auch alle Völker wanken,

Ruh' die Erde ganz verläßt,

Alle Rechte brechend schwanken,

Steht die Ehre dennoch fest;

Ewig, wie der Nordstern milde

Strahlet durch der Nacht Gefilde.


Heil dem Mann, der darnach handelt,

Diesen Stern im Auge hält,

Stern der Ehre, der nie wandelt,

Fiel' in Trümmern auch die Welt!

Aus dem Tode noch wird grünen

Hohe Siegeslust dem Kühnen.


Denn es siegt ja doch die Ehre

Bei dem edleren Geschlecht,

Wie das blinde Glück auch mehre

Siege sonder Ehr' und Recht.

Ewig glänzt der Tugend Adel,

Falscher Ruhm ist mehr nur Tadel.


Drum sei jener hochgepriesen,

Kaiser Er mit Recht genannt,

Der des Glückes mächt'gem Riesen[403]

Mutig leistet Widerstand,

An der Ehre Kraft noch glaubend,

Und die Zeit der Schmach entraubend.


Wohl vertraut den mächt'gen Ahnen

Er auf seinem Völkerthron,

An den Ruhm der Zukunft mahnen

Ihn, des Nordens hohen Sohn,

Zeichen, strahlend durch die Zeiten,

Neu die Welt uns zu bereiten.


Leuchtend ob dem Eisgefilde

Wogen Feuer durch die Nacht,

Sühnend wird im Flammenbilde

Hier das Opfer dargebracht;

Völker fluten im Gewimmel,

Kämpfend jauchzen sie zum Himmel.


Möchte neu ein Reich zu gründen

Auf der Ehre festem Grund,

Heldenherzen zu entzünden,

Wieder Eins im alten Bund,

Hoch als Sieger Ihm gelingen,

Alle bald den Retter singen.


Sind der Streiche, die uns trafen,

Ist der Schmach noch nicht genug,

Soll durch Gott uns härter strafen

Noch die Geißel, die uns schlug;

Dennoch zu den fernsten Zeiten

Wirst du schönen Glanz verbreiten;


Lichter Stern, der uns erschienen,

Stern der Ehr' in trüber Nacht,

Der den Treuen, die ihr dienen,

Hoffnung wieder angefacht;

Stern der Ehr' aus jenem Norden,

Durch den frei die Erd' einst worden!


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 403-404.
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