Im Spesshart

[363] 1806


Gegrüßt sei du viel lieber Wald!

Es rührt mit wilder Lust,

Wenn abends fern das Alphorn schallt,

Erinn'rung mir die Brust.


Jahrtausende wohl standst du schon,

O Wald so dunkel kühn,

Sprachst allen Menschenkünsten Hohn,

Und webtest fort dein Grün.


Wie mächtig dieser Äste Bug,

Und das Gebüsch wie dicht,

Was golden spielend kaum durchschlug

Der Sonne funkelnd Licht.


Nach oben strecken sie den Lauf,

Die Stämme grad und stark;

Es strebt zur blauen Luft hinauf

Der Erde Trieb und Mark.


Durch des Gebildes Adern quillt

Geheimes Lebensblut,

Der Blätterschmuck der Krone schwillt

In grüner Frühlingsglut.


Natur, hier fühl' ich deine Hand,

Und atme deinen Hauch,

Beklemmend dringt und doch bekannt

Dein Herz in meines auch.


Dann denk' ich, wie vor alter Zeit,

Du dunkle Waldesnacht!

Der Freiheit Sohn sich dein gefreut,

Und was er hier gedacht.


Du warst der Alten Haus und Burg;

Zu diesem grünen Zelt

Drang keines Feindes Ruf hindurch,

Frei war noch da die Welt.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 363-364.
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