Die Wucherer

[369] (Ein Volkslied.)


Im großen Dorfe Haberstätt

Geht's um.

Sobald der Wächter Zwölfe ruft,

Rumort's daher, saust in der Luft,

Und rast im Dorf herum.


Zwölf Geister heulen fürchterlich:

»O weh!

Der Fluch der Sünde macht uns bang,

Verworfen hat uns – ach wie lang!

Der Rächer in der Höh'.«[369]


Da schlingt das Weib sich um den Mann

Herum.

Die Kindlein schlüpfen unter's Bett,

Und alles ist zu Haberstätt

Vor Todesängsten stumm.


Wie betet da das ganze Dorf

So heiß:

Wir arme Bauern bitten dich,

Gott, treibe von uns gnädiglich

Dies höllische Geschmeiß!


Der Pfarrer, der im Swedenborg

Studirt,

Und als ein tiefgelehrter Mann

Mit allen Geistern sprechen kann,

Wagt es, und exorzirt.


Vom Grabe eines Frommen sprach

Der Mann:

»Ihr Geister aus dem Schattenreich,

Im Namen Gottes frag' ich euch:

Sagt, was habt ihr gethan?«


Da kam ein Geist, wie Säulenrauch

Von Torf.

Dem Pfarrer bebt das Herz wie Sulz.

Hohl sprach der Geist: »Ich war der Schulz

Einmal in diesem Dorf.


Dies war ein Müller, der ein Wirth,

Und der

Schulmeister gar; die andern acht

Sind Bauern, durch des Teufels Macht

Sind wir zwölf Wucherer.


Auf unsern Böden lag die Frucht

Wie Sand.

Oft gab der Himmel Fruchtbarkeit;

Doch wir erschufen theure Zeit

Gar weit umher im Land.[370]


Denn Korn und Wein verschlossen wir

Mit Fleiß.

Und brach herein die Hungersnoth

Verkauften wir erst Wein und Brod

Um teuflisch hohen Preis.


Wir haben uns mit Armenblut

Genährt.

Wir haben der Bedrängten Schrei,

Geblendet von der Täuscherei

Des Wuchers, nicht gehört.


Wir starben, Geister peitschten uns

Hinab.

Dreihundert Jahre sind es bald,

Daß solchen Greuelaufenthalt

Uns Gottes Rache gab.


Doch wird vom Fluch einst unser Geist

Befreit,

Wenn's hier im Dorf zwölf Bauern gibt,

Wo jeder Treu' und Glauben liebt,

Und schwarzen Wucher scheut.


O weh, es schaurt der Morgen schon;

Fort, fort!

O weh, noch werden wir nicht los.

Des Jahres Segen ist zu groß,

Hinab an unsern Ort!«


Husch, rasselt's fort. Der Pfarrer fiel

Aufs Knie,

Und bat: Verwirf uns nicht im Grimm,

Die Bauern sind doch gar zu schlimm;

Ach Herr bekehre sie!


Du gabst uns, Gott! ein gutes Jahr;

Doch laurt

Der Wuchrer schon, wie er die Frucht

In Scheunen zu verbergen sucht,

Und unsern Wein vermaurt.[371]


Verschlossen ist, o Wucherer,

Dein Herz.

Doch harre, Sünder, bald zerbricht

Es Gottes Donner am Gericht

Mit unnennbarem Schmerz.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 369-372.
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