Auf den Tod des Generalmajors von Scheeler

[123] Im Namen der Witwe und Kinder, den 26. März 1784.


Hier an Scheelers heiligen Gebeinen

Sollst du jammern, banges Klaggedicht?

Blut kann ich herunterweinen;

Aber singen kann ich nicht.


Wenn die Saiten von der Harfe springen;

Wenn die Muse meine Zelle flieht;

Engel sprecht: wie kann ich singen

Scheelers Todtenlied?


Hör' ich's nicht, wie eine Witwe jammert?

Seh' ich nicht, wie sie zur Leiche fliegt,

Und den Todtensarg umklammert,

Drin ihr Scheeler liegt!


»Ach! da liegt er! (mit zerrißnem Herzen

Spricht's Luisa) der mir alles ist!«

Ihre Lippe lächelt Schmerzen;

Aber keine Thräne fließt.


»Fünf und zwanzig Lenze, o du Lieber!

Floßen mir an deiner Seite süß,

Wie ein Krystallbach vorüber

Durch die Flur im Paradies.


Blumen dufteten an dem Gestade,

Jede Welle wälzte goldnen Sand;

Gab's auch Dornen auf dem Pfade,

Ach! so botst du mir die Hand.


Liebe, Liebe trof von deinem Munde,

Liebe, Liebe quoll aus deiner Brust;

Scheeler, ach! an jeder Stunde

Hing des Himmels Lust.[124]


Und nun liegt er, hingestürzt im Wetter,

Wie die Tanne hingeblitzt liegt er;

Aeste, Zweig', versengte Blätter

Liegen um ihn her!«


In der Witwe jammerndes Getöne

Schreit der Waisen fürchterlicher Schmerz;

Glühend fällt die Zähr' der Söhne

Auf des Vaters kaltes Herz.


Einen Vater sollen wir entbehren,

Der uns liebte, mehr als väterlich?

Ach! so stürzt ihr Waisenzähren;

Und du, Gott! erbarme dich!


Doch, wer kann der Witwe und der Waisen

Klage singen in der Laute Klang?

Leiden, die die Brust zerreißen,

Sind zu schwer für den Gesang.


Weine nur, Luisa, um den Gatten!

Weint, ihr Waisen, um des Vaters Grab;

Voller Mitleid blickt sein Schatten

Durch der Gräber Duft herab.


Weint um ihn, ihr edlen Seelen alle;

Euer Freund und Vorbild ist nicht mehr.

Ach! er fiel, und von dem Falle

Bebt die Veste weit umher.


Aber blickt auch durch die Thränenwolke

Himmelauf, wo Scheelers Seele schwebt,

Und mit Gottes Geistervolke

Tausend Leben lebt.


Zwar er starb, eh' unsre Lieb' es dachte;

Plötzlich brach sein himmlischgutes Herz;

Aber er, der keine Schmerzen machte,

Starb auch ohne Schmerz.[125]


Als er aufflog durch des Grabthals Nächte,

Eilten Engel jauchzend zu ihm hin,

Boten ihm die Strahlenrechte,

Nannten Bruder ihn.


Ueberwunden hast du, überwunden,

Scheeler! nun das Ungemach der Zeit;

Und aus des Erlösers Wunden

Strahlt dir Himmelsseligkeit.


Schon kniest du in jenen lichten Kreisen,

Betest mit gefaltner Hand am Thron

Für die Witwe, für die Waisen;

Der Erbarmer hört dich schon.


Jova spricht; und alle Himmel schweigen:

Ich Verklärter werde mich allein

Als der Gattin Helfer zeigen

Und der Kinder Stütze sein.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 123-126.
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