Fünf und zwanzigster Brief.

Wilhelm an Ernestinchen.

[179] Hochedle,

Hochzuehrende

Frau Vizetrompeterinn!


Ob ich gleich nicht anders die Ehre habe Sie zu kennen, als aus einigen zärtlichen Briefchen, die Sie an mein ehedem geliebtes Fiekchen erließen; so bin ich doch so frei, Ihnen in ihrem Namen zu antworten, und wegen Dero betrübten Umständen zu kondoliren.

Fiekchen liegt nun schon seit sechs Wochen, ganz außer Stand Ihnen zu antworten, im Spital, und Dero geehrtestes Schreiben ist zum Glück in meine Hände gekommen. Damit Sie sehen, wie sich das Glücksrad zu drehen[180] pflegt, muß ich Ihnen einen kurzen Abriß ihrer Begebenheiten machen.

Ich mußte vor einiger Zeit ihres Vortheils wegen von ihr ziehen, wobei sie mir aber versprach, mich nächstens wieder zu sich zu nehmen, und mit mir auf einen glücklichem Fuß zu leben. Nach acht Tagen wollte ich sie besuchen, erfuhr aber, daß sie Tages vorher von der Polizei abgeholet worden und sich im Zuchthause befände. Meine Traurigkeit darüber war unbeschreiblich. Ich frug von dieser Zeit von Tag zu Tage nach ihr, und Niemand konnte mir die geringste Nachricht geben. Ich dachte nun gewiß, daß sie auf irgend eine Vestung versendet worden, und gab alles fernere Nachforschen auf.

Endlich gieng ich einmal über den großen Marktplatz, und sah eine Dame vor mir hinschleichen, die eine mit Perlen durchzogene Frisur, in der[181] Größe eines kleinen Heuschobers auf dem Kopf trug, und ein langes Schleppkleid von rosenfarbenem Taft: anhatte. Hinter ihr gieng ein bordirter Bedienter; und sie selbst machte so gravitätische Schritte, daß des Jupiter seine Juno, wenn sie noch auf der Welt gewesen wäre, von ihr hätte müssen gehen lernen.

Wie erschrak ich aber, als ich sie im Vorbeigehen anblickte, und in ihr mein verlorenes Schäfchen, mein angebetetes Fiekchen erkannte. Ich zog in dieser Verwirrung den Huth ab, und machte ihr eine tiefe Reverenz, die sie aber nicht erwiederte, sondern die Augen von mir weg schlug. Ich wollte es wiederholen: aber sie wich beständig so aus, daß zwischen uns vorbeigehende Leute kommen mußten, die mich von ihr entfernten.

Ich trat also zurück, und gieng ihr immer auf etliche Schritte nach, bis sie[182] am Ecke der Straße wegen der hereinlenkenden Kutschen stille stehen mußte. Itzt nahm ich mir das Herz, und trat zu ihr. Sie wurde feuerroth, als ich sie ansah. – »Fiekchen, bestes Fiekchen, hub ich an: wie freue ich mich, daß ich dich endlich wieder so glücklich« – Hier unterbrach sie mich: – »Monsieur, Sie werden mich verkennen.« – Ich erstaunte. – »Wie, Fiekchen? – kennst du denn deinen Wilhelm nicht mehr?« – »O ich bitte mir's aus, erwiederte sie: ich weiß mich nicht zu erinnern, daß ich mit Ihnen Schweine gehütet hätte; und kenne auch keinen Wilhelm.« – Ich wollte fort reden: da aber die Passage wieder offen wurde, gieng sie weiter, und schlug sich quer über die Gasse, meiner los zu werden. Endlich gieng sie in ein Haus, und ich folgte ihr unter die Thüre. Hier packte ich sie noch einmal an: – »So erlauben Sie mir doch wenigstens ein Paar Worte!« – »Ei so lassen Sie mich doch in's Teufels Namen in Ruhe![183] fuhr sie heraus: Ich weiß gar nicht was Sie wollen.« – Unter diesen Worten bestieg sie eine schmale Schneckentreppe, und der Flegel vom Bedienten, da er ihren Unwillen sah, hieß mich noch zu allem Überfluße meiner Wege scheren.

Den folgenden Tag, da der Bediente nicht zu Hause war, ließ ich mich unter einem fremden Namen bei ihr anmelden; und da mich die Magd einließ, traf ich sie mit einem Windmarquis auf dem Kanapee sitzend an. Er stand auf, frug mich, was ich wolle; und da ich mit ihr zu sprechen verlangte, fieng er an: – »Sie können auch mir Ihr Anliegen sagen.« – Sie hatten mich hierauf beide so zum Besten, daß mir die Thränen in die Augen stiegen, und ich für Zorn hätte zerspringen mögen; mußte also unverrichteter Sache wieder fort.

Gleichwohl machte ich noch einen[184] Versuch, und schrieb ihr einen der wehmütigsten Briefe, die jemals können geschrieben worden seyn; allein sie gab mir nicht die geringste Antwort; und da ich ihr nach der Hand noch einen schrieb, schickte sie mir solchen unerbrochen zurück. Ich dachte also: – laß das Sauleder gehen! – und bekümmerte mich von der Stunde nicht weiter um sie.

Gleich darauf hatte ich das Glück, als englischer Junker bei einer Dame in Dienste zu kommen, wo es mir sehr gut gehet. Ich wurde da mit einem Friseur bekannt, der Fiekchen und ihren sauberen Herrn gut kennet. Er erzählte mir dieser windige Pursche sey nichts weniger als ein Kavalier, sondern ein bloßer Avanturier, den man nur den Chevalier de la Fortune nenne. Er bringe sich mit seinem Schw – durch; und wenn es da nichts zu thun gäbe, wisse er sich die Gutherzigkeit der Kaufleute und Schneider auf eine geschickte[185] Art zu Nutze zu machen, und betröge sie oft beide.

Das gute Fiekchen, fuhr er fort, hätte viel Geld gehabt, das sie aber nach und nach alles an den Pflastertreter gehangen, und seinetwegen noch Schulden gemachet hätte. Er wäre, da er sie so ausgeschälet, nicht mehr zu ihr gekommen; und sie hätte sich gezwungen gesehen, auf ihrer unmelodischen Geige häufige Akademien für Schinder und Schaber zu geben. – Bei dieser Wirtschaft wäre sie bald venerisch geworden; und nachdem sie Einige angestecket, und es Einer dem Andern gesaget, endlich von Allen verlassen worden.

Lange Zeit habe sie an sich selbst gedoktert; endlich aber der Schanker so überhand genommen, daß man sie ins Spital schaffen müssen. – Er habe erst vor Kurzem mit einem Feldscheer gesprochen, der ihm erzählet, daß man[186] ihr schon den halben Stimmstock von ihrer Hausgeige habe wegschneiden müssen, und sie wohl schwerlich mehr viel damit spielen werde. – Sie sey übrigens in so schlechten Umständen, daß man alle Augenblicke den Brand erwarte. –

Ich kann sie nicht besuchen: denn da ich sie noch immer liebe, so wurde mich's zu sehr schmerzen, wenn sie vielleicht ihr Unrecht an mir erkennte, und weinte. Ich wünsche ihr nur ein glückliches Ende, und daß sich der Himmel ihrer erbarmen möge. Ihr Unglück soll mir zu einem Beispiel dienen, und ich will mich von nun an vor allen Ausschweifungen hüten.

Schenken Sie ihr, so wie ich, noch einige Thränen des Mitleidens, und ergeben Sie sich in Ihr Schiksal. Es ist doch immer viel besser, als Fiekchen ihres. Am Ende wünsche ich Ihnen alles Glück zum bevorstehenden Kriege,[187] und Gelegenheit zu guten Plünderungen; empfehle mich zu geneigtestem Angedenken, und ersterbe in tiefster Devozion


Meiner hochzuehrenden

Frau Vizetrompeterinn


ergebenster Diener, Wilhelm.[188]

Quelle:
Karl Timlich: Priaps Normal-Schule die Folge guter Kinderzucht. [München] [1971], S. 179-189.
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