Die Bidassoabrücke

[179] Auf der Bidassoabrücke

Steht ein Heil'ger, altergrau,

Segnet rechts die span'schen Berge,

Segnet links den fränk'schen Gau.

Wohl bedarf's an dieser Stelle

Milden Trostes himmelher,

Wo so mancher von der Heimat

Scheidet ohne Wiederkehr.


Auf der Bidassoabrücke

Spielt ein zauberhaft Gesicht:

Wo der eine Schatten siehet,

Sieht der andre goldnes Licht;

Wo dem einen Rosen lachen,

Sieht der andre dürren Sand;

Jedem ist das Elend finster,

Jedem glänzt sein Vaterland.


Friedlich rauscht die Bidassoa

Zu der Herde Glockenklang,

Aber im Gebirge dröhnet

Knall auf Knall den Tag entlang;

Und am Abend steigt hernieder

Eine Schar zum Flußgestad,

Unstet, mit zerrißner Fahne,

Blut beträufelt ihren Pfad.


Auf der Bidassoabrücke

Lehnen sie die Büchsen bei,

Binden sich die frischen Wunden,

Zählen, wer noch übrig sei?[179]

Lange harren sie Vermißter,

Doch ihr Häuflein wächset nicht,

Einmal wirbelt noch die Trommel,

Und ein alter Kriegsmann spricht:


»Rollt die Fahne denn zusammen,

Die der Freiheit Banner war!

Nicht zum erstenmale wandelt

Diesen Grenzweg ihre Schar;

Nicht zum erstenmale sucht sie

Eine Freistatt in der Fern,

Doch sie zieht nicht arm an Ehre,

Zieht nicht ohne günst'gen Stern.


Der von vor'gen Freiheitskämpfen

Mehr als einer Narben führt,

Heute, da wir alle bluten,

Mina! bliebst du unberührt;

Ganz und heil ist uns der Retter,

Noch verbürgt ist Spaniens Glück;

Schreiten wir getrost hinüber!

Einst noch kehren wir zurück.«


Mina rafft sich auf vom Steine,

Müde saß er dort und still,

Blickt noch einmal nach den Bergen,

Wo die Sonne sinken will;

Seine Hand, zur Brust gehalten,

Hemmt nicht mehr des Blutes Lauf,

Auf der Bidassoabrücke

Brachen alte Wunden auf.


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 179-180.
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