Die Freude

[101] Ergetzt euch, Freunde, weil ihr könnt!

Den Sterblichen ist nicht vergönnt,

Von Leiden immer frey zu bleiben.

Vernunft wird öfters ohne Frucht

Sich wider schwarzen Unmuth sträuben:

Lyäus weis ihn zu betäuben,

Und singt ihn sieghaft in die Flucht.


Lernt, wie sich finstrer Unverstand,

Verhüllt in trauriges Gewand,

Von wahrer Weisheit unterscheide,

Die mit entwölkter Stirne glänzt,

Und in der Wollust leichtem Kleide,

Wie sie, im Schoose sanfter Freude,

Auch oft mit Rosen sich bekränzt.


O segnet ieden Augenblick,

Da ihr ein unvergälltes Glück

In süsser Freundschaft Armen schmecket:

Da Bacchus euch mit Epheü krönt,

Und Witz und attisch lachen wecket;

Und muntrer Scherz, der Narren schrecket,

Die Narren und ihr Glück verhöhnt.


Doch hört ihr, was die Wahrheit spricht?

Verwöhnt, verwöhnt die Seele nicht

Zu rauschenden Ergötzlichkeiten,[101]

Die, wann der Geist sie lieb gewinnt,

Von Rosen unter Dörner leiten;

Und kein Vergnügen aller Zeiten,

Nur Augenblicke reizend sind.


Die Weisheit richtet meinen Sinn

Auf dauerndes Vergnügen hin,

Das aus der Seele selbst entspringet.

Geschmack und Wahrheit! ihr entzückt,

Auch wann kein Saitenspiel erklinget:

Auch wann mein Mund nicht lacht und singet,

Bin ich in euerm Arm beglückt.


Die Anmuth prächtiger Natur

Vergnügt mich auf beblühmter Flur,

Auf Hügeln und im dunkeln Hayne.

Ich jauchz' an stiller Musen Brust

So fröhlig, als bey Cyperns Weine:

Ja wenn ich Thoren einsam scheine,

Vertraut sich mir die reinste Lust.


So lockend jene Freude lacht,

Die nur die Sinne trunken macht,

So nah ist sie dem Ueberdrusse.

Die Wollust, vom Geschmack ernährt,

Stirbt unter dummem Ueberflusse:

Sie bleibt bey sparsamem Genusse

Weit länger schön und liebenswerth.


Du Tochter wilder Trunkenheit!

Fleuch, ungestalte Fröhligkeit,

Und rase nur bey blöden Reichen!

Sie mögen durch entweihten Wein

Die sanften Grazien verscheuchen![102]

Sie, Bacchus! mögen Thieren gleichen:

Uns Freunde! lass' er Menschen seyn.

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 101-103.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sämtliche poetische Werke
Sämtliche poetische Werke. Hrsg. von A. Sauer

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Cleopatra. Trauerspiel

Cleopatra. Trauerspiel

Nach Caesars Ermordung macht Cleopatra Marcus Antonius zur ihrem Geliebten um ihre Macht im Ptolemäerreichs zu erhalten. Als der jedoch die Seeschlacht bei Actium verliert und die römischen Truppen des Octavius unaufhaltsam vordrängen verleitet sie Antonius zum Selbstmord.

212 Seiten, 10.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon