Der Weise auf dem Lande

[47] An Herrn v. Kleist.


Ihr Wälder, ihr belaubte Gänge!

Und du, Gefilde! stille Flur!

Zu euch entflieh ich vom Gedränge,

O Schauplatz prächtiger Natur![47]

Wo ich zu lauter Lust erwache;

Und, auf beglückter Weisen Spur,

Im Schoosse sichrer Ruhe lache.


Ich fühl, o Freund, mich neu gebohren

Und fange nun zu leben an,

Seit, fern vom Trotze reicher Thoren,

Ich hier in Freyheit athmen kann.

Hier kann ich ohne Mißgunst leben,

Wenn manchen ungerechten Mann

Die Fittige des Glückes heben.
[48]

Wer will, mag stolz nach Würden trachten.

Ich sehe, mit zufriednem Sinn,

Sie unter ehrnem Joche schmachten,

Verliebt in mühsamen Gewinn.

Sie drängen sich durch List und Gaben

An ihre Ruderbänke hin,

Dieweil sie Sclavenseelen haben.


Den leichten Rauch der falschen Ehre

Erkauf ich nicht mit wahrem Weh.

Mein Geist sey, nach der Weisheit Lehre,

So stille, wie die Sommersee:

So ruhig im Genuß der Freuden,

Als dort, im bunt beblümten Klee,

Die unschuldvollen Lämmer weiden.
[49]

Sieh hin, wie über grüne Hügel

Der Tag, bekränzt mit Rosen, naht!

Ihn kühlen Zephyrs linde Flügel,

Der jüngst das Frühlingsfeld betrat.

Nun taumelt Flora durch die Triften:

Nun schwingt sich aus bethauter Saat

Die Lerche schwirrend nach den Lüften.


Dort, wo im Schatten schlanker Buchen

Die Qvelle zwischen Blumen schwätzt;

Seh ich die Muse mich besuchen,

Wo tiefe Stille sie ergetzt.

Da singt sie kühn in ihre Saiten,

Indeß, vom Morgenthau benetzt,

Die Haare flatternd sich verbreiten.


Oft sitzt sie unter frischen Rosen

Und bläst ihr süsses Hirtenrohr;

Und Amor kommt, ihr liebzukosen,

Und ieder Ton entzückt sein Ohr.[50]

Auch er versucht, wies ihm gelinget:

Ein schwaches Murmeln qvillt hervor,

Das ungeübte Hand erzwinget.


Geht hin, die ihr nach Golde schnaubet!

Sucht Freude, die mein Herz verschmäht!

Betrügt, verrathet, schindet, raubet

Und erndtet, was die Wittwe sät!

Damit, wenn ihr in Gold und Seide

Euch unter klugen Armen bläht,

Der dumme Pöbel euch beneide.


Dem Reichthum, bleicher Sorgen Kinde,

Schleicht stets die bleiche Sorge nach;

Sie stürmt, wie ungestüme Winde,

In euer innerstes Gemach.

Der sanfte Schlaf verschmäht Paläste,

Und schwebet um den kühlen Bach

Und liebt das Lispeln junger Weste.


Mir gnüget ein zufriednes Herze

Und was ich hab und haben muß,

Und, kann es seyn, bey freyem Scherze,

Ein kluger Freund und reiner Kuß:[51]

Dieß kleine Feld und diese Schafe,

Wo, frey von Unruh und Verdruß,

Ich singe, scherze, küsse, schlafe.

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 47-52.
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