Zweites Bruchstück

Ruchbar

[60] Ein Hausner:


239

Ob er von Hirse lebt und Linsen, Erbsen,

Von Baumfrucht oder Wurzelknolle, Kräuterlauch,

Der Guten recht erworbne Atzung annimmt:

Nie soll der Wohlgewillte listig lehren.


240

Die Atzung, zubereitet gut und gar gekocht,

Almosen andrer, dargereicht erlesen,

Das Reisgericht, und um es anzunehmen,

Hast angenommen, Kassapo, als ruchbar.


241

»Was ruchbar ist, es darf mir nimmer taugen«:

Verlauten hast du's lassen, heil'ger Jünger;

Das Reisgericht, und um es anzunehmen,

Mit Fleische von Geflügel wohlbereitet,

Gebeten seist du, Kassapo, gib Antwort,

Was wär' es anders, das dir ruchbar deuchte?


Kassapo:


242

Was lebt verletzen, schlagen, schlachten, kerkern ein,

Diebstahl und Lüge, Hinterlist und Heimlichkeit,

Geheim erspähn, erbuhlen Andrer Gattin Gunst:

Das wird geheißen ruchbar, nicht doch Fleischgenuß.


[61] 243

Wer da Begierden unersättlich sich ergibt,

Verlockt von Lüsten keiner lautern Freude frönt,

An nichts glaubt, ungerecht ist, unberaten bleibt:

Das wird geheißen ruchbar, nicht doch Fleischgenuß.


244

Wer hart geworden, herb ist, andre lästern liebt,

Ein Freundverräter, unbarmherzig, überklug,

Nie Gabe geben, nie dem Nächsten helfen mag:

Das wird geheißen ruchbar, nicht doch Fleischgenuß.


245

Sich ärgern und ereifern, stützig widerstehn,

Und gleißen, schillern, sich an Worte klammern an,

Hochmut und Übermut, in Böser Bunde sein:

Das wird geheißen ruchbar, nicht doch Fleischgenuß.


246

Wer mißgeraten, schuldbeladen schleicht, erhorcht,

Verkappt umhergeht, in der Maske unerkannt,

Verworfen lebt im Solde hier der Freveltat:

Das wird geheißen ruchbar, nicht doch Fleischgenuß.


247

Bei Lebewesen wer da kein Erbarmen kennt,

Entwendet andern hat ihr Eigen, schadenfroh,

In Schanden roh und rauh beflissen, ohne Scheu:

Das wird geheißen ruchbar, nicht doch Fleischgenuß.


248

Zernagt von Neide Widersacher fällen sie,

Gewaffnet immer, eilen in den finstern Tod

Und fallen abwärts, kollern so kopfüber hin:

Das wird geheißen ruchbar, nicht doch Fleischgenuß.


[62] 249

Nicht Fisch und Fleisch und nüchtern fasten nicht,

Nicht Blöße, Kahlheit, Haargeflecht,

Kein Aschenstaub, kein rauhes Fell,

Und nicht im Feuerdienste Opfer bringen dar,

Noch was hienieden andrer Buße immer sei,

Kein Zauberspruch, Altarlied, Zeitenwendefest

Kann sühnen, wo den Menschen sehrt die Sehnsucht.


250

»Heil durch die Fluten zieh' der Sinnensieger hin,

Bestanden wahrhaft ist er sicher, sanft beglückt;

Entwunden wandernd, allem Leid entgangen,

Nicht hangt an was er sieht und hört der Weise.«


251

Das hat der Herr verkündet immer wieder uns,

Verstehn gelehrt, der Sprüche wie kein andrer spricht,

In manchem Liede sinnig offenbar gemacht,

Unruchbar der entrodet, unerfunden ist.


252

Vernommen war des Auferwachten feines Wort,

Unruchbar das da alles Wehe schwinden läßt:

Im Geist ergeben grüßt' ich ihn, den Großen;

Sogleich die Weihe hab' ich dort empfangen.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 60-63.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Cardenio und Celinde

Cardenio und Celinde

Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon