Rüstet die Kelter, die Kufen und Tonnen,
Denn es verglühet ein seltenes Jahr!
Schon naht der Herbst, und es glastet die Sonne,
Wie sie geglastet den Sommer entlang!
Hört, im Gebirge, was Zeichen geschehen!
Gletscher, sie ebben wie Meere zurück,
Ihre blaugrünen Gewölbe zerschmelzen,
Grotten und Spalten so tief und so kühl!
Trocken enthüllen sich felsige Gründe,
Die seit Jahrtausenden keiner geschaut,
Und aus der tiefsten und engsten der Klüfte
Leuchten gebleichte Gebeine herauf.
Knochen des riesigen Vorweltsbären
Liegen gebrochen wie sprödes Glas,[393]
Aber dazwischen die Rippen und Röhren
Eines in Waffen verschollenen Manns.
Und die verrostete Panzerschale,
Auch ein zerfressenes spanisches Schwert
Künden den Krieger aus traurigen Tagen
Einer in Leiden zerklüfteten Welt.
Noch mit den sämtlichen Zähnen gezieret
Starren die Kiefer im räumigen Helm,
Gleich einem Spielzeug neben des wilden
Bären gewaltigem Kopfgestell.
Sehet! unbändig schwellen die Trauben
– Rüstet die Kelter und rüstet den Krug! –
Jegliche Beer eine sonnige Klause,
Drinnen ein Glutelf brauet die Flut!
Zwei friedlose Gesellen, schlafen
Jene, in ewigen Frieden entrückt;
Aber die Wut und das Wähnen und Wagen
Hält noch die duldenden Lüfte erfüllt.
Rüstet die Tonnen! Umfanget den starken
Reisigen Wein mit eisernem Band!
Männern zerbricht er den stämmigsten Nacken,
Stürzet sie jählings in Jammer und Qual!
Füllet die Krüge, doch trinket den Frieden,
Trinket das Licht, das dem Himmel entstrahlt!
Bindet die Herzen mit eisernem Willen,
Daß ihr entrinnet dem tödlichen Fall!
1 Nach dem heißen Sommer des Jahres 1865 war im rhätischen Gebirge ein Gletscher so hinabgeschmolzen, daß man auf dem Grunde Gebein und Waffen fand, welche auf einen Bergübergang ligistischer Truppen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges zurückgeführt wurden.
Ausgewählte Ausgaben von
Gesammelte Gedichte
|
Buchempfehlung
Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.
106 Seiten, 6.80 Euro