Die Jugendträume

[32] Der Jüngling weilt in einem Blütengarten

Und schaut mit Lust des Lebens Morgenrot;

Auf seinem Antlitz ruht ein schön Erwarten,

Die Welt ist Himmel ihm, der Mensch ein Gott.


Ein Morgenlüftchen streut ihm duftge Rosen

Mit leisem Finger in das Lockenhaar;

Sein Haupt umflattert mit vertrautem Kosen

Ein bunt Gevögel, singend wunderbar.


Seid stille, stille, daß die flüchtgen Gäste

Ihr nicht dem Jünglinge verscheucht; denn wißt:

Die Jugendträume sind es, wohl das beste,

Was ihm für diese Welt beschieden ist.


Doch, weh! ihm naht mit eisern schwerem Gange

Die Wirklichkeit, und fort auf ewig fliehn

Die Vögel, und dem Jüngling wird so bange,

Da er sie weiter sieht und weiter ziehn.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 32.
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