19. Ermunterung

[274] Seht! wie die Tage sich sonnig verklären!

Blau ist der Himmel und grünend das Land.

Klag' ist ein Mißton im Chore der Sphären!

Trägt denn die Schöpfung ein Trauergewand?

Hebet die Blicke, die trübe sich senken,

Hebet die Blicke, des Schönen ist viel.

Tugend wird selber zu Freuden uns lenken;

Freud' ist der Weisheit belohnendes Ziel.
[274]

Öffnet die Seele dem Lichte der Freude,

Horcht! ihr ertönet des Hänflings Gesang.

Atmet! sie duftet im Rosengestäude,

Fühlet! sie säuselt am Bächlein entlang.

Kostet! sie glüht uns im Safte der Traube,

Würzet die Früchte beim ländlichen Mahl.

Schauet! sie grünet in Kräutern und Laube,

Malt uns die Aussicht ins blumichte Thal.


Freunde! was gleiten euch weibische Thränen

Über die blühenden Wangen herab?

Ziemt sich für Männer das weichliche Sehnen?

Wünscht ihr verzagend zu modern im Grab?

Edleres bleibt uns noch viel zu verrichten,

Viel auch des Guten ist noch nicht gethan;

Heiterkeit lohnt die Erfüllung der Pflichten,

Ruhe beschattet das Ende der Bahn.


Mancherlei Sorgen und mancherlei Schmerzen

Quälen uns wahrlich aus eigener Schuld.

Hoffnung ist Labsal dem wundesten Herzen,

Duldende stärket gelaßne Geduld.

Wenn euch die Nebel des Trübsinns umgrauen,

Hebt zu den Sternen den sinkenden Mut;

Heget nur männliches, hohes Vertrauen,

Guten ergeht es am Schlusse noch gut.


Lasset uns fröhlich die Schöpfungen sehen:

Gottes Natur ist entzückend und hehr!

Aber auch stillen des Dürftigen Flehen:

Freuden des Wohlthuns entzücken noch mehr.

Liebet! die Lieb' ist die schönste der Triebe:

Weiht nur der Unschuld die heilige Glut.

Aber dann liebt auch mit weiserer Liebe

Alles, was edel und schön ist und gut.
[275]

Handelt! durch Handlungen zeigt sich der Weise,

Ruhm und Unsterblichkeit sind ihr Geleit.

Zeichnet mit Thaten die schwindenden Gleise

Unserer flüchtig entrollenden Zeit.

Den uns umschließenden Zirkel beglücken,

Nützen, so viel als ein jeder vermag,

O das erfüllet mit stillem Entzücken!

O das entwölket den düstersten Tag!


Mutig! auch Leiden, sind einst sie vergangen,

Laben die Seele, wie Regen die Au';

Gräber, von Trauercypressen umhangen,

Malet bald stiller Vergißmeinnicht Blau.

Freunde, wir sollen, wir sollen uns freuen;

Freud' ist des Vaters erhab'nes Gebot.

Freude der Unschuld kann niemals gereuen;

Lächelt durch Rosen dem nahenden Tod.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 41, Stuttgart [o.J.], S. 274-276.
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