Ludewigsburg.

[76] Der Grund, worauf diese Stadt gebauet, ist unregelmässig und wild, dennoch findet man manche schöne Gassen, Spatziergänge und Häuser darin. Die umliegende Gegend ist nicht eben angenehm, aber fruchtbar, an Wein besonders, denn sie liefert eine grosse Menge von dem sogenannten Nekkerweine.

Eigentlich ist Stutgard die Hauptstadt des Herzogthums Würtenberg, allein seit länger als zehn Jahren hat der Herzog nicht mehr daselbst residirt; und die Opern und andre musikalischen Stiftungen dieses Prinzen, welche die sieben Jahre,[76] daß Jomelli die Direktion darüber hatte, die besten und prächtigsten zu seyn pflegten, sind nur noch bloß der Schatten, von dem was sie gewesen sind.

Unter andern Einschränkungen, die der Herzog vorgenommen, hat es auch seine Oper und Kapelle mit betroffen, indem eine grosse Anzahl der alten Kapellisten auf halben Sold gesetzt sind: allein wie die meisten musikalischen Virtuosen zu hohe Seelen haben, um mit der ganzen Besoldung auszukommen, sie sey so groß sie wolle, so haben diejenigen unter den besten am hiesigen Hofe, welche Talente für Geld hatten, die Herabsetzung ihres Gehalts als eine Verabschiedung angesehen, und sobald sich nur eine Gelegenheit zeigt, anderwärts unterzukommen, suchen sie Erlaubniß, andre Dienste zu nehmen.

Als ich von Schwetzingen abreisete, verließ ich den geraden Weg nach Wien ein wenig, um Ludewigsburg zu besuchen, woselbst ich, wie man mir sagte, nicht nur den Herzog von Würtenberg finden, sondern auch Opern, Concerte und grosse Virtuosen zu hören bekommen würde. Allein nachdem ich mich vierzehn bis funfzehn Stunden auf dem Postwagen hatte zusammen rütteln lassen, und fast lebendig geröstet zu Ludewigsburg ankam, fand ich leider, die erhaltne Nachricht so wenig wahr, daß sich der Herzog dreyzehn Meilen entfernt zu Graveneck aufhielt, und kaum ein guter Musikus in der Stadt geblieben war. Indessen erhielt ich ein genaues Verzeichniß von der gegenwärtigen[77] Verfassung der Würtenbergischen Musik, für den Hof, das Theater und die Kirche.

Der erste Maestro di Capella ist Signor Boroni. Sopranstimmen sind, Signora Bonani und Seemann und die Kastraten Signor Muzio und Signor Gureieri. Altisten Rubinelli und Paganelli. Unter den Tenoristen hat der Herzog vorigen Winter, durch den Tod des vortreflichen Cavalleri Ettori, einen grossen Verlust gehabt, welcher von den Italiänern für den bester in seiner Art, für die ernsthafte Oper, gehalten wurde. Die Violinen sind achtzehnmal besetzt, Signor Lolli ist ihr Anführer, unter dem übrigen sind noch Rurz und Baglioni; der letzte ist ein sehr guter Geiger und von der berühmten Bologneser Familie. Es sind da sechs Bratschen, drey Violonschells und vier Contraviolons. Die vornehmsten Organisten sind Friedrich Seemann und Schubart. Vier Hoboen, Alrich, Hirsch, Blesner und Commeret. Flöten, Steinhart, der sehr schön bläset, und Augustinelli. Drey Waldhörner; zwey Bassons, Schwarz, ein vortreflicher, und Bart.

Für die Opera buffa, Signore Bonani, Seemann, Liberati, Frigeri: Signori Messieri, Rossi, Cosimi, Liberati und Righetti.

An Tänzern und Tänzerinnen, zwey und dreissig. Die vornehmsten darunter sind Balliby, Franchi und Riva. Auf der Pensionstliste für die Opern stehn an neunzig Personen. Allein manche stehen noch darauf, wenn sie schon längst nicht mehr[78] Dienste thun können; auch stehen die Namen von Instrumententräger, Coppisten und Bälgentretern gleichfalls mit darauf.

Dieser Prinz hatte vorigen Winter zwey neue Opern, die eine von Jomelli und die andre von Saechini komponirt. Das Theater ist ganz ausserordentlich groß, und ist in der Hinterbühne offen, an welche ein Amphiteater in freyer Luft stößt, welches zuweilen mit Leuten angefüllt wird, um Wirkungen in der Perspective zu thun. Es ist, wie alle, die ich in Deutschland gesehn hatte, nach italiänischem Modelle gebauet.

Der Herzog von Würtenberg, der sonst so grosse Kosten auf die Musik für seinen Hof und Opern verwendet, hat, so viel ich gehört, bey seinen Regimentern keine andre Instrumente, als Trompetten, Trommeln und Pfeifen.

Dieser Prinz, welcher selbst ein guter Clavicimbelspieler ist, hatte einst zu gleicher Zeit in seinem Dienste drey der grössesten Violinisten in Europa, Ferari, Nardini und Lolli. Die beyden Hoboisten Le Plats, einen berühmten Bassonisten, Schwarz, der noch hier ist, den Waldhornisten Walther, und Jomelli zum Komponisten, und die besten ernsthaften und komischen Sänger von Italien. Gegenwärtig ist die Liste seiner Virtuosen freylich nicht so glänzend; dennoch glaub' ich, ist die Einschränkung mehr scheinbar als wesentlich. Denn zur Solitude, einem lieblichen Sommerpallaste, hat er mit erstaunlichen Kosten eine Schule für die Künste, oder ein Conservatorum[79] errichtet, zur Erziehung von zweyhundert armer und verlassener Kinder, welche Fähigkeiten zeigen. Eine grosse Anzahl von diesen wird Musik gelehrt, und es sind schon verschiedne sehr vortrefliche Sänger und Spieler fürs Theater daraus hergenommen werden. Einige lernen die gelehrten Sprachen und treiben die Poesie, andre lernen agiren und tanzen. Unter den Sängern in dieser Schule befinden sich schon funfzehn Kastraten, denn der Hof hat zwey Bologneser Wundärzte im Dienste, welche diese Operation sehr gut verstehen sollen. Zu Ludewigsburg ist gleichfals ein Conservatorium für ein Hundert Mädchen, die auf eben die Art und zu eben den Zwecken erzogen werden. Das Gebäude, das zu Solitude zur Kunstschule für die Knaben errichtet worden, hat eine Fronte von sechs bis sieben hundert Fuß. Eine von den Lieblingsbeschäftigungen des Herzogs ist, diese Schule zu besuchen, und die Kinder essen und lernen zu sehen.

Ich kann hier nicht unterlassen, dem Herrn Schubart, Organist an der lutherischen Kirche, meinen Dank zu bezeigen. Er war der erste wahre grosse Flügelspieler, den ich bisher in Deutschland angetroffen hatte, wie auch der Erste, welcher dafür zu halten schien, daß der Zweck meiner Reise, gewissermaassen eine Nationalangelegenheit wäre. Ich reisete nicht, wie ein Musikus gemeiniglich zu reisen pflegt, um Geld zu verdienen, sondern es zu verzehren6, musikalische Talente und Verdienste aufzusuchen, wo ich solche nur finden konnte,[80] um solche meinen Landsleuten bekannt zu machen. Herrn Schubart schien dieses einzuleuchten, und er gab sich alle mögliche Mühe, sowohl meine Ohren als meinen Wunsch zu vergnügen. Er ist von der Bachischen Schule; aber ein Enthusiast und ein Original von Genie. Viele von seinen Sachen sind in Holland gestochen, und sind voller Feuer und Geschmack. Auf dem Clavier spielte er mit grosser Feinheit und vielen Ausdruck. Seine Hand ist brillant, und seine Phantasie sehr reich. Er hat einen vollkommnen Doppeltriller in der Gewalt, wohin nur wenige Clavierspieler gelangen.

Er war einige Zeit Organist zu Ulm, und hatte da ein schönes Orgelwerk unter Händen; hier aber hat er nur eine sehr erbärmliche. Da, wo er itzt hin verpflanzt ist, kennt man ihn wenig: die gemeinen Leute halten ihn für närrisch, und die übrigen bekümmern sich nicht um ihn.

Wir theilten uns auf eine seltsame Art unsre Gedanken mit. Ich war noch nicht so weit in der Sprache gekommen, und auch zu ungeduldig, seine Ideen zu wissen, um im Deutschen mit ihm Schritt zu halten, und er sprach weder Französisch noch Italiänisch, konnte aber ziemlich Latein sprechen, weil er in der Jugend für die Kirche bestimmt war; und ich erstaunte darüber, wie schnell und leicht er alles im Latein ausdrücken konnte, was er wollte; bey ihm war es wirklich eine lebende Sprache. Ich gab ihm den Plan von meiner Geschichte der[81] Musik auf Deutsch, und er, um mich zu überzeugen, daß er recht gut meine Meinung verstünde, übersetzte ihn, das ist, er las ihn mir auf der Stelle lateinisch vor. Meine Aussprache des Lateins, wenn ich auch gewohnt gewesen wäre, es zu sprechen: würde ihm nicht verständlich gewesen seyn. Allein da er Italiänisch verstund, ohne es gleichwohl sprechen zu können, so führten wir unsre Untrredung in zwo verschiedenen Sprachen, Lateinisch und Italiänisch. Die Fragen, die in einer Sprache gethan wurden, erhielten die Antwort in der andern. Auf diese Art waren wir den ganzen Tag über sehr gesprächig, während dessen er nicht allein vieles auf der Orgel, dem Cavecimbel, Pianoforte und Clavier spielte; sondern mir auch das Theater und alle Merkwürdigkeiten zu Ludewigsburg zeigte, und mir den Charakter aller Musiker am Hofe und in der Stadt aufschrieb. Und gegen Abend war er so gefällig, drey oder vier Bauren in seinem Hause zu versammlen, um solche Nationalmusik singen und spielen zu lassen, nach welcher ich ein grosses Verlangen bezeigt hatte.

Die öffentliche Bibliothek besteht hier noch nicht seit langer Zeit, und ist noch eben nicht reich an Handschriften und alten Büchern. Der Professor der Geschichte und Bibliothekar, Herr Urot, ein gebohrner Franzose, war ungemein höflich, und gab sich grosse Mühe, meine Neugierde zu befriedigen, auch vorzüglich damit, daß er mir eine besondre astronomische Maschine zeigte, welche[82] Herr Sahn, Prediger zu Onstmettingen in einer Zeit von anderthalb Jahren verfertigt hat.10

6

S. 80. (Geld zu verdienen sondern es zu verzehren.) Das ist sehr großmüthig gegen die deutsche Nation, wenn wir nur nicht ein wenig langsam wären, es zu glauben. Es ist also auch wohl aus blosser Großmuth um Geld zu verthun und nicht zu verdienen, daß Herr Burney zwey Bände von seiner deutschen Reise drucken lassen. Daß er so so oft und häufig Auszüge aus denselben in die öffentlichen Blätter rücken läßt, ist wohl gar nicht sein Buch zu verkaufen, sondern um dem Zeitungsverleger die Gebühren zu verdienen zu geben. Daß er auf die allgemeine Geschichte Pränumeriren läßt, ist auch wohl gar nicht, um zu verdienen! Wozu dergleichen Vorrückungen: »Der Musikus reise gemeiniglich um Geld zu verdienen?« Ist ihm das zu verdenken? Eben so wenig als dem Manne, der reiset um zu schreiben, und dadurch zu verdienen.

Bey dieser Gelegenheit muß ich auch mein Befremden bezeigen, daß Herr Burney nichts von der schwäbischen Musik sagt, die doch in verschiedener Betrachtung Original ist.

10

Dem deutschen Leser erspart man billig die Beschreibung, die Herr Burney seinen Landsleuten davon giebt. Wer sie noch nicht kennt, kann sie aus folgendem Aufsatze kennen lernen: »Beschreibung einer astronomischen Maschine, welche sich in der öffentlichen Bibliothek zu Ludewigsburg befindet 1770.«

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. II]: Durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, Hamburg 1773 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 76-83.
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Tagebuch einer musikalischen Reise
Tagebuch einer musikalischen Reise: Durch Frankreich und Italien, durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, durch Böhmen, Sachsen, Brandenburg, Hamburg und Holland 1770-1772

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